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Kommentar von Jan Kahlcke über GewissensentscheidungenKlassik mit Autokraten

Und ich soll jetzt Staffage der Stadt Hamburg für ihre Staatsgäste sein?

Die Einladung „im Namen von Dr. Joachim Sauer und Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel“ kam von einer selbstgebastelten Mailadresse. Nichts daran wirkte offiziell. Keine schriftliche Einladung, auf Büttenpapier gedruckt und mit dem geprägten Signet der Bundesrepublik Deutschland. Bestimmt nur ein Fake. Einfach weggeklickt und fertig. Erst als Hamburgs Bevollmächtigter beim Bund nachfragte, wie es denn nun aussehe mit dem Konzert zum G20-Gipfel in der Elbphilharmonie, begann das Grübeln: Soll ich, soll ich nicht?

Darf man das überhaupt? Beethoven hören mit Autokraten? Am Rahmenprogramm eines Gipfels teilnehmen, den man grundsätzlich ablehnt? Kann ich mich in meinem Viertel noch blicken lassen, wo schon aus persönlicher Betroffenheit wirklich jeder Einzelne gegen den G20-Gipfel ist, wenn rauskommt, dass ich da mitgemacht habe? „Die kriegen die Bude nicht voll und sind verzweifelt auf der Suche nach zuverlässigen Gästen“, spöttelt ein Kollege, „das würd’ich mal als Applaus von der falschen Seite verstehen.“

Nicht selten habe ich mich in den vergangenen Tagen geschämt, Bürger dieser Stadt zu sein, die von einem „Festival der Demokratie“ tönt, aber ihren Gästen, die diese Demokratie mit Leben füllen wollen, nicht mal ein Fleckchen ihres ach so gepflegten städtischen Grüns für die Nachtruhe überlässt. Deren Polizei Gerichtsurteile genau so lange respektiert, wie sie zu ihren Gunsten ausfallen, und andernfalls nach Gutdünken vorgeht. Dieser Stadt, die ständig das hohe Lied vom friedlichen Protest singt, mit dem sie dem einen oder anderen Staatsgast sogar Nachhilfe in Sachen Rechtsstaat erteilen will, und dann alles dafür tut, dass diese Staatsgäste davon bloß nichts mitkriegen. Und mit denen nun im Konzertsaal sitzen, als Staffage?

Es ist nun, ehrlich gesagt, auch nicht so, dass ich wahnsinnig scharf drauf wäre, mal wieder Beethovens Neunte zu hören, den größtmöglichen Gassenhauer der klassischen Musik. Schon eher, Donald Trumps Gesicht dabei zu sehen, wie die Kanzlerin ihm die Europahymne zumutet – falls er Anspielungen wie „alle Menschen werden Brüder“ überhaupt versteht. Und zu sehen, wie viel Kunstgenuss die Sicherheitsparanoia überhaupt zulässt.

Ist das jetzt schon Voyeurismus oder noch journalistische Neugier? Eine andere Kollegin sagt: „Natürlich ist das für uns interessant, auch die andere Seite zu sehen, auch die Inszenierung.“ Damit wäre dann ja wohl alles klar. Hingehen, aufpassen, hinterher berichten. So wie immer eigentlich. Heute „Welcome to Hell“-Demo, morgen Elbphilharmonie.

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