Ein „Selbstmord“-Verbot reicht nicht : Kommentar von Florian Harms
Der Rat der Sunniten, der größten islamischen Organisation in Großbritannien, hat eine beachtenswerte Fatwa erlassen. So weit, so löblich. Damit stellen sich führende britische Muslime eindeutig auf die Seite der Opfer und senden ein wichtiges Signal an die britische Gesellschaft.
Doch wie steht es um jene, an die sich die Fatwa zuvörderst richtet – die britischen Muslime? Hier ist die Wirkung vorsichtiger einzuschätzen. Eine Fatwa ist kein verbindliches Religionsedikt. Weil es im Islam keine „Kirche“ gibt, kann jeder Muslim religiöse Fragen an einen Rechtsgelehrten seiner Wahl richten. Der Mufti erstellt dann aufgrund von Koran, Tradition und früheren Entscheidungen ein Gutachten – eben die Fatwa. Ob er diese befolgt, steht jedem Gläubigen jedoch frei. Passt ihm die Entscheidung nicht, kann er sich an einen anderen Juristen wenden. Das ist keine theologische Haarspalterei, sondern alltägliche Praxis.
„Jeder, der Selbstmord begeht, kommt in die Hölle“, heißt es in der jetzigen Fatwa. Aus islamisch-kanonischer Sicht ist das grundsätzlich nicht falsch. Doch die Attentäter, die sich in London, Bagdad oder Tel Aviv in die Luft sprengen, sehen sich nicht als Selbstmörder, sondern als Märtyrer und ihren Körper als legitime Waffe. Gibt es also kein wirkungsvolles theologisches Instrument gegen Terror?
Doch, und es liegt gar nicht so fern. Nach übereinstimmender Meinung der sunnitischen Rechtsschulen ist eine Fatwa dann bindend, wenn sie von allen führenden Gelehrten mitgetragen wird. Die Chancen für eine einhellige Anti-Terror-Fatwa stehen so gut wie wohl noch nie: Vor einer Woche haben sich in Jordanien 180 muslimische Gelehrte aus 40 Staaten getroffen und schwarz auf weiß festgehalten, dass kein Muslim einen anderen zum Ungläubigen und damit zum legitimen Anschlagsziel erklären dürfe. Diese theologische Begründung benutzen Bin Laden, Sarkawi und Co., um zu rechtfertigen, dass bei ihren Angriffen auch Muslime getötet werden. Mit religiösen Gründen gegen den Terror im Namen der Religion – die Einigkeit der Juristen kann den Attentätern wirksam die Unterstützung entziehen.