piwik no script img

Kommentar sechs Monate nach FukushimaDas Atomdorf wittert Morgenluft

Martin Fritz
Kommentar von Martin Fritz

Sechs Monate nach der Katastrophe von Fukushima ist in Japan vieles wie vorher. Die Bürger unternehmen nichts, um sich gegen die Atompolitik der Regierung durchzusetzen.

E s ist schwer zu glauben, aber Japans Gesellschaft hat sich seit dem Gau von Fukushima wenig verändert. Sicher, das Misstrauen der Bürger gegenüber ihrem Staat war noch nie so groß wie jetzt. Viele Japaner messen die radioaktive Strahlung lieber selbst, als den offiziellen Messwerten zu glauben. Abseits dessen aber ist die Angst, dass ein Streit über den Atomausstieg die Einheit der Nation gefährden könne, weit verbreitet. Und viele Japaner bleiben in einer Untertanen-Mentalität gefangen, die sich mit verantwortungslosen Beamten und Politikern einfach abfindet.

Seit dem Abgang des atomkritischen Premierministers Naoto Kan wittert das "Atomdorf" genannte eiserne Dreieck aus Beamten, Stromversorgern und Industrie Morgenluft. Denn Kans Nachfolger Yoshihiko Noda hält den Atomausstieg nicht nur für Spinnerei. Er verlangt auch, dass alle ruhenden Atommeiler nach dem versprochenen Stresstest wieder ans Netz dürfen - und droht, dass sonst Strommangel die Wirtschaft knebeln und so den ökonomischen Aufschwung gefährden könne.

Natürlich kennt auch der neue Regierungschef die Umfragen, wonach weit über die Hälfte der Japaner die Zahl der Atomkraftwerke reduzieren oder zumindest auf dem heutigen Stand halten möchte. Angesichts dessen fordert selbst Noda nicht, neue Reaktoren zu bauen. Aber zwei im Bau befindliche Kraftwerke will der Premier schon noch fertigstellen lassen. Auch soll die Atomtechnik bis 2030 weiterentwickelt werden. Und sowohl die Wiederaufbereitungsanlage für Plutonium als auch die MOX-Brennelementefabrik in Rokkasho sollen in Betrieb gehen.

Bild: rivat
MARTIN FRITZ

ist Japan-Korrespondent der taz.

Sicher, nun soll eine überparteiliche Kommission die Energiepolitik Japans umformulieren. Aber wozu? Wenn Nodas Vorstellungen umgesetzt werden, wird Japans letzter Meiler frühestens 2054 abgeschaltet. Das Atomdorf jubelt bereits klammheimlich über die unmündigen Bürger und den verhinderten Ausstieg.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Martin Fritz
Auslandskorrespondent Japan/Südkorea
Volontariat beim NDR. War Hörfunk-Korrespondent in Berlin während der deutschen Einheit. Danach fünf Jahre als Südasien-Korrespondent in Neu-Delhi. Berichtet seit 2001 aus Tokio über Japan und beide Koreas.
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • I
    Ilmtalkelly

    Es ist traurig, dass Deutschland erst den Beweis der totalen

    Abkehr von Atomtechnik bei Stromunabhängigkeit vorlegen muss, bis ein von der Kernkraft-Kathastrophen gebeuteltes Land bereit zum Verzicht ist.

    Das sollte den Pionieren der erneuerb. Energien Anschub geben. Deutschland ist das Labor, und darauf können wir jetzt wirklich einmal stolz sein.