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Kommentar rot-grüne MinderheitsregierungDie hessische Patientin

Wolf Schmidt
Kommentar von Wolf Schmidt

SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti sollte die hessische Linke lieber gleich in eine Koalition einbinden.

"The Three Christs of Ypsilanti" heißt eine alte Studie eines US-Psychologen. Er brachte 1959 in Ypsilanti, einer Kleinstadt in Michigan, drei Patienten einer psychiatrischen Klinik zusammen, die alle davon überzeugt waren, Jesus zu sein. Was würde nun passieren, wenn sie aufeinandertreffen?

Nun würde niemand, nicht einmal ein Hardliner aus der Hessen-CDU, die Politiker von SPD, Grünen und Linkspartei in Hessen in die Nähe von Psychopathen rücken. Aber neben der Namensparallele kann man aus der Studie eine Lehre für das hessische Ypsilanti-Experiment ziehen. Denn: Es kann nur einen Heiland geben - das wussten auch die drei Patienten in Michigan. Offen ansprechen mochten sie es aber nicht - und sparten dieses Konfliktthema bei ihren Treffen völlig aus.

So ähnlich verfährt jetzt die hessische SPD, die gestern die Koalitionsverhandlungen mit den Grünen aufgenommen hat. Doch die Entscheidung der Hessen-SPD, anstelle eines Dreierbündnisses mit der Linkspartei eine rot-grüne Minderheitsregierung anzustreben, könnte sich als Fehler erweisen.

Oft wird darauf verwiesen, dass Minderheitsregierungen in Skandinavien so gängig wie erfolgreich seien. Das stimmt. Aber ihr Erfolg beruht darauf, dass sich Minderheitsregierungen dort häufig wechselnde Mehrheiten besorgen: dass also Sozialdemokraten je nach Thema mal mit linken, mal mit liberalen oder konservativen Fraktionen zusammengehen. Das aber ist in Hessen weder vorgesehen noch denkbar. Denn CDU und die FDP werden einen Teufel tun, Rot-Grün zur Seite zu stehen, wenn die Linke die Gefolgschaft verweigert.

Warum also nicht gleich eine Koalition? In einer Minderheitsregierung liegt die Hürde für ein Ausscheren schließlich deutlich niedriger als bei einer Koalition, die auf fünf Jahre hin angelegt ist.

Dabei wäre es viel besser, die Linke gleich in ein rot-rot-grünes Projekt einzubinden - mit Ypsilanti als Heiland an der Spitze. Erst in ein, zwei Jahren sei eine solche Koalition denkbar, hat Ypsilanti bei TV-Talker "Beckmann" immerhin Gesprächsbereitschaft signalisiert. Ganz traut sich die hessische Patientin aber noch nicht. WOLF SCHMIDT

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Wolf Schmidt
Inlandsredakteur (ehem.)
Jahrgang 1979. War bis 2013 in der taz zuständig für die Themen Rechtsextremismus, Terrorismus, Sicherheit und Datenschutz. Wechsel dann ins Investigativressort der Wochenzeitung „Die Zeit“.
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2 Kommentare

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  • T
    treba

    @Josef: Erstmal finde ich es lustig, dass es immernoch leute gibt, die nicht wissen, dass links, wenn schon so eine platte einteilung gemacht wird, die antiautoritäre seite darstellt, definiert nach der sitzordnung im ersten französischen parlament.

    Und von fast allen großen "linken" theoretiker (unter anderem Marx) wurden weniger autoritäre regierungsformen gefordert (z.b. die räterepublik, die unter Lenin und später Stalin aber massiv bekämpft wurde, da diese personen schlichweg diktatoren waren).

    Richtig ist, dass das, was von der LINKEN gefordert wird, nicht immer "links" ist.

    Darüber, dass der kapitalismus auch nicht grade menschenfreundlich ist, müssen wir uns doch nicht unterhalten, oder? Und darüber, dass extremliberal auch totalitär ist, nur dass das kapital selbst an höchster stelle steht? Oder, dass die von rechtsextremen verübten verbrechen oftmals kapitalistischer natur waren und sind?

    Mfg

  • J
    Josef

    Ist LINKS wirklich immer besser Herr Schmidt?

    Sehr wahrscheinlich haben Sie vergessen, welche menschenverachtenden Theorien die LINKEN in der Vergangenheit (seit 1918) befolgt haben.

    Kann man LINKS und Kommunismus trennen? Wo liegt der Unterschied von Rechtsradikal und Linksradikal? Totalrismus ist beiden Richtungen aufs Panier geschrieben. Wollen Sie und die Hessen wirklich so regiert werden? Tote der Vergangenheit (rechts und links!) erhebt Euch zum Kampf der letzten Chance der Gerichtigkeit!!