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Kommentar Zensus in ChinaKleine Könige

Kommentar von Susanne Messmer

Der Westen muss in China auf die Aufhebung der Ein-Kind-Politik drängen, nicht auf abstrakte Menschenrechte. Damit wäre mehr Personen geholfen als nur Ai Weiwei.

C hina hat sein Volk gezählt. Was herauskam, war nicht überraschend: Die Gesellschaft altert schnell. Doch die Ein-Kind-Politik wird trotzdem nicht aufgehoben: Chinas Regierung schaltet, wie in letzter Zeit wieder allzu oft, auf stur.

Dabei ist es überfällig, diese Politik nicht nur aufzuweichen, sondern zu beenden. Altsein in China ist jetzt schon eine Strafe, weil immer weniger Junge immer mehr Alte nicht oder nur schlecht versorgen können. Noch mehr aber als die Alten leiden die Frauen unter der Geburtenkontrolle. Seit Mao steht ihnen offiziell die "Hälfte des Himmels", also die Gleichstellung, zu.

Doch zur Ein-Kind-Politik gehören bis heute in China Zwangsabtreibungen und Zwangssterilisationen. Die Geburtenkontrolle zieht außerdem ein katastrophales Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern nach sich. Der Zensus stellt fest: Nur 48,73 Prozent der Gesamtbevölkerung sind weiblich. Männliche Stammhalter haben wie vor hundert Jahren hundertmal mehr Wert. Weibliche Föten werden abgetrieben, weibliche Säuglinge getötet. Die "kleinen Könige", wie die Einzelkinder heißen, sind auf "Frauen-Import" angewiesen, zum Beispiel aus Vietnam.

Die Autorin

SUSANNE MESSMER schreibt für die taz.

Man weiß von entlegenen Dörfern, wo arme Männer, die keine Schwestern zum Tauschen haben, mit anderen zusammenlegen, um sich gemeinsam eine Frau zu kaufen. Das ist verboten, dies interessiert aber keinen. Die Frauen heißen dort "Werkzeuge für die Fortpflanzung". Sie werden jedes Jahr schwanger und haben kein Geld, ihren daraus folgenden Gebärmuttervorfall behandeln zu lassen.

Der Westen muss in China auf die Aufhebung der Ein-Kind-Politik drängen, nicht auf die Einhaltung abstrakter Menschenrechte. Damit wäre mehr Personen geholfen als einem einzigen Künstler namens Ai Weiwei.

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Redakteurin taz.Berlin
Jahrgang 1971, schrieb 1995 ihren ersten Kulturtext für die taz und arbeitet seit 2001 immer wieder als Redakteurin für die taz. Sie machte einen Dokumentarfilm („Beijing Bubbles“) und schrieb zwei Bücher über China („Peking" und "Chinageschichten“).
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8 Kommentare

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  • J
    JotHa

    Dass China abseits der Megastädte noch weit hinter dem Mond lebt, wird sich auch durch Aufhebung der Ein-Kind-Politik nicht ändern; auch ist anzunehmen, dass die Frauen in abgelegenen Dörfern weiterhin "Werkzeuge für die Fortpflanzung" wären; auch wird den Frauen deswegen kaum mehr Geld von der Männerwelt zur Verfügung gestellt werden.

     

    Chinas Frauen hilft nur die gesellschaftliche Öffnung in die Moderne, eine Infrastruktur, die Chinas Reichtum entspräche und die Wahrung "abstrakter" Menschenrechte für alle Frauen Chinas.

     

    Wenn man die gesellschaftliche Position der Frau (in China) nur auf die Ehe- und Gebährfähigkeit reduziert, ist das doch recht reaktionär, Frau Messmer.

    Und Ai Weiwei könnte man doch trotz Ein-Kind-Politik versuchen zu unterstützen, gell.

  • HR
    HP Remmler

    Stimmt, um den Zustand zu erreichen, dass "immer weniger Junge immer mehr Alte nicht oder nur schlecht versorgen können", braucht es gar keine staatlich verordnete 1-Kind-Politik. Das geht auch so wie bei uns, in der "freien Marktwirtschaft".

     

    Ob allerdings "der Westen" wirklich darauf drängen sollte, dass sich die gut 1.300.000.000 Chinesen endlich wieder anständig vermehren können sollen dürfen, anstatt die "Einhaltung abstrakter Menschenrechte" (für einen einzigen Künstler!) zu fordern - sind Sie sich da wirklich sicher? Für Zigtausende Menschen weltweit (und viele davon nun mal in China) ist es ein alles andere als abstrakter Zustand, eingesperrt, gequält oder umgebracht zu werden, nur weil sie es wagen, ihren eigenen Verstand zu benutzen.

     

    Ist der Widerstand gegen diese Ungerechtigkeit (weltweit!) allen Ernstes weniger wichtig als der Widerstand gegen die Bevölkerungspolitik der chinesischen Machthaber? Ist es also "menschlicher", vor Verschleppung, Folterung, Ermordung Unschuldiger die Augen zu verschließen und stattdessen lieber gegen die im konkreten Einzelfall (!) gewiss schwer zu ertragenden staatlichen Vorschrift zu Felde zu ziehen, wie viele Kinder man haben darf?

     

    Dann ist das hier wohl auch gar nicht die taz, sondern ich bin von katholischen Hackern auf den Osservatore Romano verlinkt worden.

  • MM
    Matthias Mersch

    Sehr geehrte Frau Messmer,

     

    Sie sind doch keine China-Unkundige, deshalb erschüttert mich Ihr letzter Satz besonders: was sind denn "abstrakte Menschenrechte"? Ai Wei Wei sitzt ganz konkret im Gefängnis. Nicht weniger konkret sind die Verstöße, die in China jeden Tag von Staat und Partei – teils unter aufmunternden Zurufen deutscher Wirtschaftsvertreter – gegen internationales und nationales Recht begangen werden. Opfer sind bekannte und unbekannte Menschen in China. Gilt für Sie in Fragen der Menschenrechte das Prinzip des britischen Philosophen Hutcheson vom "größten Glück der höchsten Zahl"?

  • NK
    Norbert Kranz

    Wurmt das, Susanne Messmer? Zuviel Bohai um einen Mann, wo doch das Elend so vieler Frauen niemand sieht? Gut, dass Sie darüber schreiben, aber der letzte Satz hat Sie dann wieder geschwächt. Schade.

  • P
    PeterWolf

    Und dann?

    Wollen die Mädchen auch noch autofahren?

    Spass beiseite, die "Einkindpolitik" ist natürlich ein harter Eingriff in die Freiheit.

    Ohne diesen Eingriff wärs für die Menschen in China aber wesentlich schlimmer als jetzt.

    Bei uns gibts zwar auch das gleiche demografische Problem, aber dennoch keine zwei- (oder gar drei) Kind Politik.

    Es gibt schon jetzt zu viele Menschen auf diesem Planet.

    Warum sollen wir jetzt die Chinesen dazu bewegen, mehr Kinder zu kriegen? Das ist absurd.

  • J
    Joachim

    Aber auch bei Wegfall der Ein-Kind-Politik sind Frauen vermeintlich weniger Wert. Nur dass es sich dann eher lohnt, sie als billige Magd zu nutzen.

     

    (Für ein Mädchen wäre es wohl angenehmer, abgetrieben oder direkt nach der Geburt zu sterben, als ihr Leben lang unter suboptimalen Bedingungen zu leben...)

  • DE
    Das Einzige

    Meiner Meinung nach ist die Ein- Kind Politik von China eines der positivsten Seiten der chinesischen Politik und sollte auch in anderen Ländern eingeführt werden. In Europa scheint es ja genügend Platz zu geben, aber mit unkontrolliertem Bevölkerungswachstum ist generell keinem geholfen. Die chinesischen Städte platzen jetzt schon aus allen Nähten, trotz der Beschränkungen. Theoretisch ist es auch egal, wie rum die Bevölkerungspyramide aufgebaut ist. Ob die Kinder oder Eltern von einem Paar versorgt werden.

    Die traditionellen Einstellungen zum Bevölkerungswachstum, also Sachen wie 3 oder mehr Kinder funktioniert nur dann, wenn immer mal wieder große Teile der Bevölkerung durch Kathastrophen und Kriege ausgelöscht werden oder die Lebenserwartung sehr niedrig ist. Ist das etwa humaner?

  • C
    chrischan

    China muss und darf nicht seine Einkindpolitik abschaffen. Der Rest der Welt benötigt eine Einkindpolitik, damit es nicht in Zukunft zur Katastrophe kommt, wenn es nicht schon zu spät ist.