Kommentar Zensus in China: Kleine Könige
Der Westen muss in China auf die Aufhebung der Ein-Kind-Politik drängen, nicht auf abstrakte Menschenrechte. Damit wäre mehr Personen geholfen als nur Ai Weiwei.
C hina hat sein Volk gezählt. Was herauskam, war nicht überraschend: Die Gesellschaft altert schnell. Doch die Ein-Kind-Politik wird trotzdem nicht aufgehoben: Chinas Regierung schaltet, wie in letzter Zeit wieder allzu oft, auf stur.
Dabei ist es überfällig, diese Politik nicht nur aufzuweichen, sondern zu beenden. Altsein in China ist jetzt schon eine Strafe, weil immer weniger Junge immer mehr Alte nicht oder nur schlecht versorgen können. Noch mehr aber als die Alten leiden die Frauen unter der Geburtenkontrolle. Seit Mao steht ihnen offiziell die "Hälfte des Himmels", also die Gleichstellung, zu.
Doch zur Ein-Kind-Politik gehören bis heute in China Zwangsabtreibungen und Zwangssterilisationen. Die Geburtenkontrolle zieht außerdem ein katastrophales Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern nach sich. Der Zensus stellt fest: Nur 48,73 Prozent der Gesamtbevölkerung sind weiblich. Männliche Stammhalter haben wie vor hundert Jahren hundertmal mehr Wert. Weibliche Föten werden abgetrieben, weibliche Säuglinge getötet. Die "kleinen Könige", wie die Einzelkinder heißen, sind auf "Frauen-Import" angewiesen, zum Beispiel aus Vietnam.
SUSANNE MESSMER schreibt für die taz.
Man weiß von entlegenen Dörfern, wo arme Männer, die keine Schwestern zum Tauschen haben, mit anderen zusammenlegen, um sich gemeinsam eine Frau zu kaufen. Das ist verboten, dies interessiert aber keinen. Die Frauen heißen dort "Werkzeuge für die Fortpflanzung". Sie werden jedes Jahr schwanger und haben kein Geld, ihren daraus folgenden Gebärmuttervorfall behandeln zu lassen.
Der Westen muss in China auf die Aufhebung der Ein-Kind-Politik drängen, nicht auf die Einhaltung abstrakter Menschenrechte. Damit wäre mehr Personen geholfen als einem einzigen Künstler namens Ai Weiwei.
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