Kommentar Wikipedia-Protest gegen SOPA: Für das Recht auf Existenzsicherung

Wikipedia wird am Mittwoch abgeschaltet. Für einen Tag lang protestiert die Online-Enzyklopädie damit gegen das US-Zensurgesetz SOPA. Zu Recht!

Die Online-Enzyklopädie Wikipedia bildet eine wichtige Schaltstelle im Internet. Hier kommen sie alle zusammen: die Geeks und die Bildungsbeflissenen, Schüler und Lehrer, Politiker und ihre Wähler. Jeder schlägt auf Wikipedia nach oder liest, was andere in der Online-Enzyklopädie abgeschrieben haben. Und das verleiht der Wikipedia Macht. Über 400 Millionen Besucher jeden Monat verzeichnet das Angebot, mit über 200 Sprachversionen ist es internationaler als jeder Webkonzern.

Wenn die englischsprachige Wikipedia an diesem Mittwoch abgeschaltet wird, weiß also die ganze Welt, was SOPA ist und das durch dieses US-Gesetz das Internet in seiner heutigen Form in Gefahr ist.

Darf die Wikipedia so offensiv Politik machen? Eine massive Kampagne gegen ein US-Gesetz starten und dabei den sich selbst verliehenen Informationsauftrag vergessen – zumindest einen Tag lang? Sollen Menschen in Indien, in Australien oder Südafrika auf eine wichtige Informationsquelle verzichten, nur weil der Gesetzgeber in den USA sich mit der Netz-Community anlegt?

Ja. Denn Wikipedia hat das Recht, seine eigene Existenz zu sichern. Da die Organisation Wikimedia US-Gesetzen untersteht, sind Auswüchse wie SOPA existenzgefährdend. Auch wenn die Wikipedia selbst wohl nie als Piraterie-Seite abgeschaltet würde – die Ausläufer einer so umfassenden und unbestimmten Gesetzgebung können jeden treffen. So bekam Wikipedia mit als erste die Folgen der Internet-Sperren in Großbritannien zu spüren: weil ein Cover der Scorpions aus den 70er Jahren als Kinderpornografie eingestuft wurde, war die Mitarbeit in dem Online-Lexikon in ganz Großbritannien für Tage unmöglich.

TORSTEN KLEINZ ist regelmäßiger Autor auf taz.de.

Und doch bleibt die Frage: Wer kann diese Entscheidung treffen? Stolz berichtet die Wikimedia Foundation von den 1.800 Wikipedianern, die sich auf einer Aktionsseite an der Abstimmung beteiligt hatten. Doch angesichts von 400 Millionen Lesern ist das verdammt wenig, auch in Bezug auf 80.000 aktive Wikipedia-Autoren weltweit. Dass die Unterstützung für den SOPA-Protest überragend ist, ist kaum anzuzweifeln, aber selten liegen die Dinge so klar wie in diesem Fall.

Wikipedia hat eine gewaltige politische Macht. Wenn sie die in Zukunft nutzen will, muss sie sich Gedanken machen, woher sie ihre Legitimität bezieht und wie sie die Aufmerksamkeit verteilt. Dass die englischsprachige Wikipedia beispielsweise wegen eines bedrohlichen Gesetzesvorhabens in Indien abgeschaltet würde, ist unter den derzeitigen Rahmenbedingungen kaum vorstellbar.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.