Kommentar Wehrpflicht: Einstieg in den Ausstieg
Verkürzungsschritte wie jetzt im Koalitionsvertrag vorgesehen, sind wohl der einzige Weg, die störrische CDU an einen Staat ohne Wehrpflicht zu gewöhnen.
M it etwas Abstand betrachtet ist es eine der wichtigsten Weichenstellungen des Koalitionsvertrags. Die geplante Verkürzung von Wehr- und Zivildienst von neun auf sechs Monate ist nicht nur ein billiger Kompromiss. In einigen Jahren wird man darin wohl den Anfang vom Ende der Wehrpflicht in Deutschland sehen.
Immer deutlicher wird, dass die Wehrpflicht keinen unmittelbaren Einfluss auf die Stärke der Bundeswehr mehr hat. Es geht nur noch darum, Kontakt zu möglichst vielen Wehrpflichtigen zu bekommen, damit sich nicht nur Ostdeutsche und Arbeitslose für eine Karriere als Berufssoldat oder Offizier interessieren.
Dass man für einen solchen Zwangskontakt sechs Monate braucht, ist sicher nicht zwingend. Weitere Verkürzungen der Wehrpflicht sind also programmiert. Drei Monate Grundausbildung würden genauso genügen, vielleicht auch ein Wandertag mit Soldaten am Ende der Schulzeit. Wer aus Gewissensgründen das Militär ablehnt, dürfte an diesem Tag auch ein Pflegeheim besuchen. So könnte in einigen Jahren der letzte Rest dieser Schnupper-Wehrpflicht aussehen.
Natürlich kann man argumentieren, dass ein sechsmonatiger Zwangsdienst verfassungsrechtlich kaum zu rechtfertigen ist, wenn er letztlich nur noch den Personalgewinnungs-Interessen dient. Schließlich handelt es sich dabei immer noch um eine mehrmonatige Freiheitsberaubung. Aber bei der Wehrpflicht ist, wie wir aus mehreren Entscheidungen wissen, nicht auf Hilfe vom Bundesverfassungsgericht zu hoffen.
Deshalb sind Verkürzungsschritte wie jetzt im Koalitionsvertrag vorgesehen, wohl der einzige Weg, die störrische CDU an einen Staat ohne Wehrpflicht zu gewöhnen. Vielleicht sollte man der CDU öfter auch sagen, dass inzwischen 23 von 28 Nato-Staaten ohne Zwangsdienst auskommen. Man kann ja auch mal von der Nato lernen.
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