Kommentar Wahlkampf in Hessen: Die Zivilisierung der Union
Kochs Wahlkampf auf dem Rücken von Migrantenjugendlichen ist unverschämt - aber erlaubt. Fiele er ihm allerdings auf die Füße, wäre das ein Beitrag zur Zivilisierung der Union.
D ürfen konservative Politiker über gewalttätige Migrantenjugendliche reden? Dürfen sie härtere Strafen fordern, wie Roland Koch in Hessen? Und dürfen sie dies zu Wahlkampfzeiten tun?
Stefan Reinecke, 48, lebt in Berlin-Kreuzberg, war früher Redakteur der taz-Meinungsseite und ist seit fünf Jahren Autor der taz. Er beschäftigt sich vor allem mit Innenpolitik, Parteien und Geschichtspolitik.
Drei Mal: Ja. Zweifellos ist Roland Kochs Versuch gegen kriminelle jugendliche Ausländer Stimmung zu machen, übler Populismus. Er trägt, inklusive der Tirade gegen Justizministerin Birgitte Zypries, alle Kennzeichen einer Kampagne. Sachliche Argumente spielen keine Rolle, diffuse Bedrohungsgefühle dafür eine umso größere. Koch will auf Biegen und Brechen - und geradezu schamlos unterstützt durch die Bildzeitung - das Wahlkampfthema diktierten. Nebenbei besetzt er damit endgültig den vakanten Posten des Rechtskonservativen in der CDU. Damit führt er die hessische CDU in einen plumpen Angstwahlkampf - geboren aus der Angst, selbst die Macht zu verlieren. Zu alledem ist diese Inszenierung auch noch ein Selbstzitat. Denn 1999 gewann Koch mit einem ausländerfeindlichen Wahlkampf die Macht.
Allerdings gehören auch derart durchsichtige Bösartigkeiten zu den Erscheinungen, mit denen eine demokratische Öffentlichkeit fertig werden muss. Anders gesagt: In Hessen bekommt das Publikum zwei deutlich unterschiedliche Alternativen geboten. Das übliche Gedrängel um eine imaginäre Mitte, das die Parteien ununterscheidbar macht, fällt aus. Dafür gibt es scharfe Trennungen. Hier eine aus Hilflosigkeit autoritäre CDU, dort eine vergleichsweise linke SPD, die auf Mindestlohn und Bildungsgerechtigkeit setzt.
SPD und Grüne haben bislang sachlich auf Kochs Inszenierung reagiert. Sie haben darauf hingewiesen, dass Erziehungscamps für jugendliche Straftäter nach US-Vorbild keine Lösung sind und Sündenbock-Debatten nichts nutzen. Das ist richtig. Denn mit Gegenpolemik läuft man nur Gefahr, das Geschäft des Populismus noch anzuheizen.
Hessen ist ein Testfall. Es geht nicht mehr nur darum, wer künftig dort regiert. Sondern auch darum, ob die eherne Regel, dass sich Konservative mit Ressentiment-Kampagnen stets retten können, gebrochen wird. Wenn Koch dieser Wahlkampf auf die Füße fiele - es wäre auch ein Beitrag zur Zivilisierung der Union.
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