Kommentar Wahlen im Iran: Die polarisierte Gesellschaft
Am eigentlichen Problem des Iran, die tiefe Spaltung der Gesellschaft, haben die Wahlen nichts geändert - sie haben sie verschärft. Selbst die Mullahs sind untereinander zerstritten.
Karim el-Gawhary ist Nahost-Korrespondent der taz. Er lebt und arbeitet in Kairo.
Egal ob durch Wahlbetrug, wie von der Opposition vorgeworfen, oder durch einen echten Erdrutschsieg: Mahmud Ahmadinedschads Macht wurde auf weitere vier Jahre zementiert.
Und nicht nur das: Der amtierende Präsident des Iran hat erneut eindeutig den Rückhalt des geistigen Oberhaupts Ajatollah Ali Chamenei erhalten, und das zählt für die Macht in der Islamischen Republik genauso viel wie das Votum von 46 Millionen Wahlberechtigten. Das macht die Frage, ob es bei der Wahl mit rechten Dingen zugegangen ist, fast zweitrangig. Es verringert auch die Manövriermasse der Opposition, gegen das Wahlergebnis vorzugehen.
Doch am eigentlichen Problem des Iran, die Polarisierung der Gesellschaft, haben die Wahlen nichts geändert. Ahmadinedschad wird als Held der kleinen Leute gefeiert - mit einer Machtbasis auf dem Land und in den Kleinstädten. Dort hat die Regierung in den letzten vier Jahren einen guten Teil der Ölgelder investiert.
Dagegen tanzte die Reformbewegung vor allem in den Städten. Sie genießt die Unterstützung der Jugendlichen, der Frauen und der Bildungselite, die eine politische Führung fordern, die sich wieder dem Rest der Welt annähert. Sogar das amtliche Endergebnis bestätigt, dass Ahmadinedschads Gegner Mir Hussein Mussawi die Wahlen in Teheran gewonnen hat. Selbst die Mullahs sind untereinander zerstritten. Revolutionsführer Ajatollah Chamenei hat Ahmadinedschad gratuliert. Ajatollah Rafsandschani dagegen glaubt, dass der neue und alte Präsident dem Image der Islamischen Republik schadet. Der Iran war bereits in der ersten Wahlperiode unter Ahmadinedschad zerrissen. Diese Wahlen bewirken nun, dass der Graben quer durch die iranische Gesellschaft noch tiefer werden wird.
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