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Kommentar VorratsdatenspeicherungGezügelter Kontrollzwang

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Sicherheit soll ohne Vorratsdatenspeicherung nicht möglich sein? Wer das glaubt, leidet unter krankhaftem Kontrollzwang.

Bild: privat

Christian Rath ist rechtspolitischer Korrespondent der taz.

Das Bundesverfassungsgericht ist die Geißel der großen Koalition. Während in Bund und Ländern ein Sicherheitsgesetz nach dem anderen beschlossen und geplant wird, beschneidet Karlsruhe diese Gesetze mit beeindruckender Regelmäßigkeit. Nun wurde die Nutzung der Vorratsdatenspeicherung vorübergehend beschränkt. Der Eilbeschluss regelt zwar nur, was in den nächsten Monaten bis zum Urteil in der Hauptsache gelten soll, aber das Signal ist deutlich: Am Ende wird es wieder Korrekturen geben.

Geschickt hat Karlsruhe gestern auf Zeit gespielt. Denn weil die Vorratsdatenspeicherung eine EU-Vorgabe umsetzt, ist das deutsche Verfassungsgericht eigentlich gar nicht zuständig. Mit dem Eilbeschluss wurde nun dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) signalisiert, dass in Deutschland große Skepsis gegenüber einer so weitgehenden grundlosen Zwangsspeicherung von Daten besteht. Vermutlich hoffen die Karlsruher Richter sogar, dass der EuGH die EU-Richtlinie für nichtig erklärt - sei es aus formalen Gründen, sei es wegen Verletzung von EU-Grundrechten. Denn erst dann könnte das Verfassungsgericht richtig zuschlagen. Ohne EU-Vorgabe beruht die Vorratsdatenspeicherung schließlich nur auf einem einfachen deutschen Gesetz, mit dem die Richter machen können, was sie für richtig halten.

Wenn es so kommt, sollte Karlsruhe feststellen, dass es keinen Grund dafür gibt, Daten aller Art auf Vorrat zu sammeln, damit sie irgendwann einmal von der Polizei benutzt werden können. Es genügt völlig, wenn die Polizei die Daten verwenden darf, die ohnehin vorhanden sind. So war es schon immer, und so sollte es im Rechtsstaat auch bleiben: Die Polizei kann Beweise nutzen, wenn sie vorliegen, aber nicht alle Bürger zwingen, auf Vorrat Beweise zu produzieren.

Wenn ein Täter viele Spuren hinterlässt, hat es die Polizei leichter; wenn er geschickt vorgeht, müssen sich die Ermittler mehr anstrengen. Im Informationszeitalter braucht man sich ohnehin keine Sorgen machen, dass die Polizei irgendwann mit leeren Händen dastehen könnte. Wer sich ohne Vorratsdatenspeicherung keine Sicherheit vorstellen kann, leidet an einem krankhaften Kontrollzwang.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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4 Kommentare

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  • HM
    Hermann Mahr

    Der Begriff "Vorratsdatenspeicherung" ist semantisch unsinnig. Es gibt keine "Vorratsdaten", die gespeichert werden könnten oder sollten.

     

    Sinnvoll und semantisch eindeutig wäre der Begriff "Daten-Vorratsspeicherung", der eindeutig aussagt, dass irgenwelche Daten - welcher Art auch immen - auf Vorrat gespeichert werden könnten oder sollten.

  • ME
    Martin Edelwange

    Dieser Kommentar klingt gleich ganz anders als das Bashing von Herrn Rath gegen den AK VDS vom 2.1.

     

    Von Stern bis taz sind nach der Entscheidung des BVerfG plötzlich alle Kommentatoren säuselsüß, wie kommts.

  • CS
    Claudia Schröder

    Zum Glück ist es mit der Unzuständigkeit des BVerfG jedenfalls in der Bundesrepublik nicht gar so einfach bestellt, wie das mitklingt:

    Es ist zwar zutreffend, daß die §§ 113 a und b TKG eine Umsetzung einer EU-Richtlinie sind und grds. ganz vereinfacht ausgedrückt Europarecht nationalen Recht vorgeht. Aber es wäre fatal anzunehmen, daß Recht das als direkt oder indirekt wirkendes Europarecht erlassen wird, vollständig des Maßstabes nationalen Verfassungsrechts entzogen wäre.

     

    1. Es wurde bei der Vorratsdatenspeicherung vom deutschen Gesetzgeber einfaches Gesetz erlassen, dem eine EU-Richtlinie zugrundeliegt, die umzusetzen war.

    Selbstverständlich bleibt es dem BVerfG unbenommen, die etwaige Überschreitung der Richtlinie durch den bundesdeutschen Gesetzgeber zu überprüfen.

    (Bsp.: Die Richtlinie wäre auch am GG gemessen verfassungskonform, die Umsetzung ist verfassungswidrig.)

     

    2. Es gibt die sogenannte Solange-Rspr. des BVerfG:

    Vereinfacht ausgedrückt ging das BVerfG bei Solange I noch davon aus, daß der europäische Integrationsprozeß noch nicht so weit fortgeschritten sei, daß auf EG-Ebene ein dem deutschen GG vergleichbarer Grundrechtsstandart gewährleistet sei => Überprüfbarkeit

    Mit Solange II revidierte das BVerfG seine bisherige Haltung dahingehend, daß der Integrationsprozeß soweit fortgeschritten sei, daß

    ein vergleichbarer Grundrechtsstandart inbs. hinsichtlich der prozessualen Grundrechte gewährleistet sei => nur noch sehr eingeschränkte Überprüfbarkeit.

     

    Da das BVerfG jedoch seinen eingeschlagenen Kurs durchaus revidieren kann, bleibt das auch jetzt möglich.

     

    3. Für eine völlige Fehlinterpretation halte ich den Hinweis, das BVerfG wolle irgendetwas an den EuGH signalisieren:

    Es soll zwar irgend eine Klage Irlands gegen die Vorratsdatenspeicherung anhängig sein, aber meines Wissens in anderer Sache.

    Wie bei jedem anderen Gericht auch, kann der EuGH nur tätig werden, wenn irgendjemand eine Klage erhoben hat. Ferner gibt es die Möglichkeit der nationalen Gerichte einen Sachverhalt/Umstand auf die Vereinbarkeit mit europäischem Recht zu überprüfen, um es dann seiner Entscheidung zugrundezulegen. Das hat das BVerfG nicht gemacht.

    Und an welchem Europarecht soll denn der EuGH bitte die im Rahmen der Verfassungsbeschwerde beklagten Mängel bei der Vorratsdatenspeicherung messen?

    An den Grundfreiheiten des EGV oder des EUV?

     

    Wenn überhaupt stände in Frage, ob die Vorratsdatenspeicherung möglicherweise auch mit der Europäischen Menschenrechtskonvention unvereinbar sein könnte. Dann aber wäre der EGMR zuständig.

     

    Die entscheidende Frage ist, ob auf europäischer Ebene inbs. nach dem Scheitern des Verfassungsvertrages tatsächlich ein dem deutschen vergleichbarer Grundrechtsstandart zugrundegelegt werden kann, wie das bei Solange II zunächst angenommen wurde.

     

    Ohne mir eine europafeindliche Rspr. des BVerfG zu wünschen, sind EG wie EU auch diesbezüglich in einer schwierigen Phase.

    Es kann nicht sein, daß Gesetze, die Regierungen wünschen, die aber im nationalen Parlament nicht durchzusetzen sind und/oder gegen nationales Verfassungsrecht verstoßen könnten, über die Hintertüre Europa eingeführt werden.

    Besonders beliebt soll das angeblich für diverse Pakete im Kampf gegen den Terrorismus auf der intergouvermentalen Ebene der Dritten Säule sein; hier benötigt man noch nicht einmal mehr das Europaparlament.

     

    Es wäre ein gravierender Verstoß gegen die Menschenrechte selbst,den Bürgern in dieser seltsamen Lücke zwischen den Zuständigkeiten von nationalen Gerichten, EuGH und EGMR vollends das Recht auf gerichtliche Überprüfung abzusprechen, weil angeblich alle unzuständig sind oder die Rspr. keine unmittelbare Bindungswirkung hat.

     

    Interessant gerade hierzu auch die Aussage des scheidenden Verfassungsrichters Hassemer im aktuellen Spiegel 12/2008.

  • DD
    Dieter Drabiniok

    Das wievielte Mal ist es eigendlich, dass dieser Innenminister/diese Koalition vom BVG abgewatscht wurde? Das 10.-12. Mal? Der Verfassungsschutz sollte sich mal um diese Bande kümmern!