Kommentar Vorratsdatenspeicherung: Habemus Bürgerrechtsbewegung 2.0
Unabhängig vom Urteil zeigt die Verhandlung zu Vorratdatenspeicherung: Es ist vollbracht. Die neue Bürgerrechtsbewegung hat schon jetzt Rekorde gebrochen.
V or genau 26 Jahren brachte das Volkszählungsurteil das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung hervor – und jetzt überprüft das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung. Eine Rekordveranstaltung: An die 35.000 Betroffene haben sich an der Verfassungsbeschwerde beteiligt. Unabhängig vom letztlichen Urteil zeigt die Verhandlung: Es ist vollbracht. Habemus Bürgerrechtsbewegung 2.0.
In den letzten Jahren wurde die Privatsphäre mit dem Argument eines "Kriegs gegen den Terror" ohne Rücksicht auf Verluste abgewrackt. Die Erosion rechtsstaatlicher Prinzipien weitete sich aus: Vorratsdatenspeicherung, Luftsicherheitsgesetz, Rasterfahndung und diverse Abkommen zur Weitergabe von Bank-, Fluggast- und Schiffspassagierdaten an die USA. Und vergessen wir nicht das BKA-Gesetz! Das legitimiert neben zahlreichen Schauerlichkeiten auch die umstrittene Online-Durchsuchung und eine geheime Videoüberwachung von Privaträumen. Im Frühjahr 2009 folgte dann die Diskussion über die Von-der-Leyenschen Netzsperren – und da knallte es endlich.
Weit über 100.000 Menschen unterzeichneten eine Online-Petition gegen die Netzsperren – ein Rekord. Erstmals engagierte sich wieder eine breite Masse für Freiheit, Privatheit und Demokratie.
Julia Seeliger ist Redakteurin bei taz online.
Die Rechtsstaatsblindheit der Regierenden formierte eine neue politische Öffentlichkeit. Das Netz politisierte sich rasant: Bei Twitter, Facebook, in Blogs argumentierten Bürgerrechtler gegen die vorhandene und geplante Ausspähung breiter Bevölkerungsgruppen. Bislang Unpolitische solidarisierten sich und malten Transparente und beteiligten sich an politischen Diskussionen.
Sie alle eint die Sorge vor der immer erdrückender werdenden Überwachung in allen Bereichen des Online- und Offline-Lebens: Ärzte, Anwältinnen und Pfarrer sind dabei, Gewerkschaften, Rechtsstaatsfreunde auch aus den politischen Parteien – und, nicht zu vergessen: die oft genannten Netzbewohner, die Netzwirtschaft und Computernerds.
Sie alle wollen eine Kultur der Privatsphäre, und das auch im digitalen und vernetzten Zeitalter. Sie wollen die Freiheit, zu kommunizieren – und sie wollen Politiker, die unsere Freiheitsrechte kennen und schützen. Und dafür, da kann man sich sicher sein, werden sie weiterhin kämpfen.
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