piwik no script img

Kommentar VolksverhetzungFalsches Gesetz trifft die Richtigen

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Nach sechs Jahrzehnten gefestigter Demokratie kommt ein Sonderrecht gegen Rechtsradikale nicht mehr als machtvolle Geste des Neuanfangs daher.

N iemand freut sich, wenn Neonazis marschieren und Hass verbreiten. Der notwendige Kampf gegen diese Bevölkerungsgruppe muss aber immer die Grundrechte beachten. Führt er zur Einschränkung der Grundrechte, wird ein Fehler gemacht. Wenn wir unsere Meinungs- und Demonstrationsfreiheit aufgeben, um besser gegen Rechtsradikale vorgehen zu können, wäre dies ein Pyrrhussieg. Was für die Bekämpfung von Terroristen gilt, muss in der Auseinandersetzung mit Extremisten erst recht gelten.

Das Bundesverfassungsgericht hat nun scheinbar den gordischen Knoten durchschlagen. Wegen der Schrecken des Faschismus sind gegen Neonazis ausnahmsweise spezielle Verbote möglich, obwohl das Grundgesetz eigentlich "allgemeine Gesetze" fordert. Diese Lösung hätte überzeugt, wenn die Richter sie bereits vor sechzig Jahren präsentiert hätten - als direkte Reaktion auf die Gräuel des Nationalsozialismus. Nach sechs Jahrzehnten gefestigter Demokratie kommt ein Sonderrecht gegen Rechtsradikale aber nicht mehr als machtvolle Geste des Neuanfangs daher, sondern als fadenscheinige Bemäntelung eines eigentlich verfassungswidrigen Gesetzes.

Auslöser der rot-grünen Strafrechtsverschärfungen von 2005 war ja nicht ein Aufflackern faschistischer Umsturzbewegungen. Ausgangspunkt war vielmehr die außenpolitische Befürchtung, dass es in der Welt nicht gut aussieht, wenn Neonazis mit Fackeln durchs Brandenburger Tor ziehen. Ausgehend von dieser Fassaden-Diskussion wurden dann auch NS-Gedenkstätten geschützt. Und weil man gerade dabei war, wurde noch eine Norm konstruiert, mit der man den ärgerlichen Heß-Gedenkmarsch in Wunsiedel verbieten konnte.

Bild: taz

Christian Rath ist rechtspolitischer Korrespondent der taz.

Leider hat Karlsruhe mit seiner überraschenden Konstruktion einem solchen Manöver die Zustimmung gegeben. Es signalisiert links-liberalen Bedenkenträgern, dass sie sich keine Sorgen um ihre Freiheit machen müssen, wenn man die Freiheit der rechten Demonstranten einschränkt. Die Neonazis werden zu Grundrechtsträgern zweiter Klasse erklärt. Sie unterliegen nicht dem normalen Versammlungsrecht, sondern einem Feind-Versammlungsrecht. Das ist - auch wenn es die Richtigen trifft - genauso falsch wie ein Feind-Strafrecht gegen Terroristen. Ein Zwei-Klassen-Recht ist per se undemokratisch, auch wenn es antifaschistisch begründet wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • W
    Wolferl

    @ Peter S. Und was spricht in Ihrem Fallbeispiel einer Strafvorschrift dagegen, dass sich strafbar macht wer jede Form von Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht etc. ? Und nur zur Klarstellung: es ist auch für mich eine große Genugtuung wenn einer dieser Nazi-Idioten von den Gerichten verurteilt wird. Aber wie warnte mich mein Strafrechtsprof in der ersten Vorlesungsstunde: "Strafrecht ist nicht: Das ist ein Schwein, der gehört bestraft". Sollten sich die Herren in Karlsruhe auch mal überlegen.

  • PS
    Peter S.

    @ Günther Pohl:

    Mal andersherum gefragt: Wem wäre denn damit geholfen, dies

     

    (4) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt.

     

    zurückzunehmen? Wem? Ja wem denn?

  • GP
    Günter Pohl

    Die Stärke unserer Gesellschaftsordnung besteht ja gerade darin, dass jeder die gleichen Rechte und Pflichten hat und vor allem vor dem Gesetz gleich ist. Daraus folgt, dass ein Sonderrecht für spezielle Strömungen der Gesellschaft ausgeschlossen bleiben muss. Auch wenn es schwer fällt, so lange nicht gegen geltendes Recht verstoßen wird, haben auch rechte Gruppierungen das Recht auf Versammlungsfreiheit und freie Rede.

    Wollte man diesen Standpunkt aufgeben, wäre unser aller Freiheit in Gefahr.

  • PS
    Peter S.

    @A.K.: Vielen Dank, dass Sie die nötige Differenzierung vorgenommen haben, welche Christian Rath nicht möglich war. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist grundrichtig und logisch absolut nachvollziehbar.

  • HG
    Holger Gundlach

    Ein mutiger Kommentar! Zwar werden viele Linke und alle Antifas sagen: Endlich hat das BVG begriffen - keine Meinungsfreiheit für Nazis. Und sie werden sich über die taz empören. Zugegeben, auch ich empfinde klammheimliche Freude über das Urteil, aber die ist ebenso wenig angebracht wie Freude über die Rettung eines Entführungsopfers aufgrund einer durch Folter erpressten Aussage des Tatverdächtigen. Ausnahmsweise ein "Sondergesetz" für verfassungskonform zu erklären ist ebenso gefährlich, wie ein Loch durch einen vor Wasserfluten schützenden Damm zu bohren. Wer schützt uns davor, dass eines Tages andere Richter andere Ausnahmen für gerade noch vertretbar erklären?

  • D
    DreckigerKapitalist

    Ausnahmsweise Zustimmung zur TAZ !

  • NC
    Nouveau Cologne

    Sehr guter Kommentar.

  • BB
    Bernhard Becker

    Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit soll nicht Meinungen schützen, sondern in erster Linie die Menschen, die sie vertreten. Menschenrechte sind nämlich an Personen gebunden und zudem dem Problem der Knappheit unterworfen. Sie wachsen auch nicht auf Bäumen (oder entspringen einfach der „Vernunft“), sondern entstanden, so Otfried Höffe, durch den im Rechtsstaat erzwungenen Verzicht auf das „natürliche“ Recht des Einzelnen auf Faust- oder Fehderecht. Sie können daher nicht „unter allen Umständen“ eingefordert werden: „Da der Mensch sowohl verletzbar als auch gewalttätig ist, kann er sowohl ein Täter der die Handlungsfähigkeit bedrohenden Gewalt als auch ihr Opfer sein. Um sein Interesse an Handlungsfähigkeit zu wahren, muss er sich auf einen wechselseitigen Verzicht einlassen, der einem Tausch entspricht und die zuständigen Menschenrechte begründet: Verzichtet jeder auf Körperverletzung und Töten, so wird jedem das Recht auf Leib und Leben gewährt. Indem jeder die Religionsausübung der anderen nicht behindert, erhält er das Recht auf Religionsfreiheit usw.“ Grundrechte schützen damit paradoxerweise zuweilen auch vor Menschen, die (wie in Wunsiedel) ihre Meinung auf eine Weise vertreten, die zur Einschränkung der Grundrechte anderer führt. Zudem wird niemand in diesem Land verfolgt, weil er/sie der „Meinung“ ist, dass Heß ein guter Mann sei.

    Diese vom Verfassungsgericht bestätigte Einschränkung des Demonstrationsrechtes ist jedoch vermutlich jenen taz-Lesern und Redakteuren nur schwer zu vermitteln, die sich seit Wochen darauf vorbereiten, ihre Sicht zur Rettung des Weltklimas für so wichtig zu halten, dass sie für die Durchsetzung ihrer einzig wahren Meinung in Kopenhagen ruhig ein paar Scheiben einwerfen dürfen. Die Erkenntnis, dass es vielleicht auch in diesem Fall „die Richtigen“ trifft, ist offenbar so schmerzhaft, dass man eher riskiert, sich in einer Front mit Typen wie Rieger für abstrakt-bürgerliche Individualrechte einzusetzen, die nicht Menschenrechte befördern, sondern in ihren konkreten Folgen unser Zusammenleben asozialer machen würden.

  • IN
    Ihr name

    da hat er recht

  • A
    A.K.

    Wenn Karlsruhe einen "Kampf gegen diese Bevölkerungsgruppe" der Neonazis abgesegnet hätte und wenn dieser auch noch "notwendig" sein sollte, dann wäre tatsächlich nicht nur Bedenkliches geschehen, sondern Fürchterliches. Glücklicherweise hat das Verfassungsgericht aber keinen Kampf gegen Menschen als verfassungsmäßig beurteilt, sondern den Kampf gegen bestimmte Handlungen von Menschen.

     

    Neonazis sind auch nicht zu "Grundrechtsträgern zweiter Klasse" erklärt worden, denn sie haben weiterhin das Recht, neonazistische Demonstrationen durchzuführen und beispielsweise das Winterhilfswerk oder die Autobahnen zu loben. Neonazis können jetzt sogar ohne die bislang benutzte Hilfskonstruktion "nationaler Sozialismus" den Ein-Wort-"Nationalsozialismus" loben - da schafft Karlsruhe sogar mehr Freiraum. Neonazis haben allerdings jetzt nicht mehr das Recht, die NS-Gewaltherrschaft zu verherrlichen, also beispielsweise Dachau und Auschwitz und die dort Tätigen zu loben - also verbrecherische Handlungen bzw. Verbrecher.

     

    Das ist tatsächlich ein Sonderrecht, denn es kann hierzulande niemand dafür belangt werden, wenn er etwa den Genozid der Roten Khmer oder Massaker der Mafia lobt. Es muss etwas damit zu tun haben, dass weder Rote Khmer noch Mafia ihr einschlägiges Hauptwirkungsgebiet hierzulande hatten.

     

    Wenn man das Zwei-Klassen-Recht nennen will, müsste man konsequenterweise fordern, auch solches Lob unter Strafe zu stellen oder aber das "Lob des Holocaust" freizugeben. Das sollte, bitteschön, dann auch so beim Namen genannt werden.

    • @A.K.:

      Was ist der Mensch wenn nicht seine Handlung?