Kommentar Vaterbesuch per Gericht: Das Recht des Kindes
Das Denken in Fragen des Kindeswohls verändert sich. Doch Elternliebe kann der Staat nicht beeinflussen. Ein Vater per Gerichtsentscheid nützt wenig.
Cosima Schmitt ist Redakteurin im Inlands-Ressort der taz. Ihr Spezialgebiet: Frauenpolitik
Es klingt wie die kuriose Umkehrung einer häufig gehörten Klage von Vätern: Ein Mann streitet mit der Mutter seines Sohns. Nicht etwa, weil sie ihm den Umgang mit dem Kind verweigert. Im Gegenteil: Der Vater weigert sich, sein Kind zu treffen, und verweist dabei auf ein Veto seiner Ehefrau. Die Exgeliebte aber will ihn gerichtlich zwingen, das uneheliche Kind zu treffen. Leicht ließe sich der Fall abtun als kurioser Versuch, per Richterspruch Elternliebe zu verordnen. Doch es geht um viel mehr. Der Fall wirft ein Schlaglicht darauf, wie sehr sich das Denken in Fragen des Kindeswohls verändert hat.
Lange hielt sich in den Köpfen auch vieler Familienrichter eine tradierte Überzeugung. Es herrschte der Glaube vor, dass ein Kind vor allem die Mutterliebe brauche und dass es notfalls ausreiche, wenn Väter ihren Kindern lediglich als entfernte Geldgeber dienen. Erst in den vergangenen Jahren ist ins Bewusstsein gerückt, wie sehr ein Kind auch unter Vaterferne leiden kann. Allmählich erst sickert ins Denken ein, was seit 1998 deutlich im Gesetzbuch verankert ist: dass nicht die Wünsche der Eltern im Vordergrund zu stehen haben, sondern dass es um das Recht des Kindes geht, beide Elternteile regelmäßig zu sehen.
Der Gesinnungswandel zeigt sich derzeit an mehreren Fronten. Stärker als früher bemühen sich Behörden heute, adoptierten Kindern den Zugang zu ihren leiblichen Eltern zu ermöglichen. Heftiger als zuvor sind anonyme Samenspenden in die Kritik geraten, seit die so gezeugten Kinder alt genug sind, vor Gericht zu ziehen: Über die eigene biologische Herkunft nichts zu wissen ist für viele weit schwerer zu verkraften, als man dies einst vermutet hätte.
Der Fall zeigt aber auch, wie begrenzt letztlich die Möglichkeiten des Staates sind, in Fragen der Elternliebe einzugreifen. Was nützt es einem Kind, wenn sein Vater qua Gerichtsbeschluss zum Treffen verpflichtet wird - sich aber bei der Begegnung womöglich gelangweilt abwendet und das Kind damit nur umso mehr verletzt? Das Verfahren zeigt, wie hilflos die Gesellschaft noch nach Wegen fahndet, das neue Ideal des Kindeswohls umzusetzen. Der Richtungswechsel ist eingeleitet. Die Wege werden noch erprobt.
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