Kommentar Urteil Stadionverbote: Sträfliche Kontakte
Bereits der Aufenthalt in einer gewaltbereiten Fan-Gruppe gilt als Indiz für mögliche zukünftige Störungen. Das ist zu niedrig angesetzt und rechtsstaatlich nicht vertretbar.
S tadionverbote können auch gegen Fußballfans verhängt werden, die nicht rechtskräftig verurteilt wurden. Dies hat gestern der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. Der grundsätzliche Ansatz des Urteils ist richtig, im Ergebnis geht es aber zu weit.
Stadionverbote sind keine Strafe für vergangene Krawalle, sondern dienen der Verhütung zukünftiger Ausschreitungen. Deshalb wird ein Stadionverbot möglichst schnell ausgesprochen, mit Blick auf die nächsten Spiele. Niemand will, dass Stadionverbote erst nach einigen Jahren verhängt werden, wenn am Ende des Instanzenwegs ein rechtskräftiges Strafurteil vorliegt.
Bei der Gefahrenabwehr hat es nie eine Unschuldsvermutung gegeben, denn Schuld und Unschuld können sich nur auf bereits erfolgte Taten beziehen. Eine Gefahr liegt ja logischerweise immer in der Zukunft. Diese feine Unterscheidung führt immer wieder zu Missverständnissen zwischen Juristen und Nichtjuristen. Der BGH ist also nicht zu kritisieren, wenn er Stadionverbote auch bei eingestellten Ermittlungsverfahren zulässt.
Christian Rath ist rechtspolitischer Korrespondent der taz.
Hier gilt ein anderes Korrektiv. Auch bei der Gefahrenabwehr darf niemand willkürlich zum potenziellen Störer erklärt werden. Daher müssen konkrete Anhaltspunkte für eine Gefahr bestehen.
Erst an diesem Punkt liegt der BGH falsch. Denn er setzt die Schwelle zu niedrig an, ab der ein Fan als Gefährder eingestuft werden darf. Es kann nicht ausreichen, dass bereits der Aufenthalt in einer gewaltbereiten Fan-Gruppe als Indiz für mögliche zukünftige Störungen gilt - nur weil dies zeitweilig zu einem polizeilichen Ermittlungsverfahren führte.
Letztlich kann so bereits der bloße Kontakt zu den falschen Personen zu einem zweijährigen Stadionverbot führen. Das grenzt fast schon an Willkür und ist daher rechtsstaatlich nicht vertretbar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Neue EU-Kommission
Es ist ein Skandal
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden