Kommentar Urheberrechte: Das Gefühl, verarscht zu werden
In einer viralen Tirade schimpft der Musiker Sven Regener auf Urheberrechtsverletzungen im Netz. Doch die von ihm beschworene Kostenloskultur gibt es gar nicht.
L eider hat Sven Regener in seinem Wutanfall im Radio – bei allen kleinen Wahrheiten, die in seiner Tirade steckten – das Maß verloren. Der Bayerische Rundfunk hat den Sendungsmitschnitt sicher nicht zufällig mit dem folgenden Regener-Zitat übertitelt: „Eine Gesellschaft, die so mit ihren Künstlern umgeht, ist nichts wert.“
Die Frage, wie eine Gesellschaft mit ihren Künstlern umgeht, ist sicher eine Frage, die seit mindestens 2000 Jahren mehr Aufmerksamkeit verdient, vor allem aber in einer Zeit, in der jeder ein Künstler oder zumindest Erschaffer von Werken sein kann. Wer sich nur ein bisschen länger als 5 Minuten im Internet umschaut, kann dort nicht nur Lizenzverletzungen, sondern eine gigantische Explosion von manchmal fragwürdiger, aber oft grandioser Kreativität beobachten.
Aber leben wir in einer „wertlosen“ Gesellschaft? Sind die Werte, auf denen diese Gesellschaft fußt, nichts wert, weil angeblich einige Mitglieder dieser Gesellschaft behaupten, sie wollten für Musik nicht zahlen?
Ich glaube, dass es diese immer wieder aufs Internet projizierte angebliche „Kostenloskultur“ oder -mentalität nicht gibt. Und ich glaube auch, dass man sich darüber vortrefflich streiten kann. Es gibt enorm viele Argumente aber vor allem Fakten und Zahlen, die meiner Ansicht nach belegen, dass auch Menschen die im Internet leben bereit sind sehr viel Geld für künstlerische Werke zu bezahlen. Die Umsätze des iTunes-Stores, von Amazon, das Phänomen des „Crowdfundings“ und selbst Kim Schmitz’ „Megaupload“ zeigen, dass Musik, Filme und Fernsehsendungen im Internet auch für Milliarden-Umsätze sorgen können.
Sven Regener, 51, ist ein deutscher Musiker, Schriftsteller und Drehbuchautor. Bekannt wurde er durch die Band „Element of Crime“ und seinen Roman „Herr Lehmann“.
Als der Sender Bayern 2 um ein kurzes Statement von Regener zum Thema Urheberrecht nachfragte, wurde daraus ein fünfminütiges „Instant-Pamphlet“. Regener sagte zum Beispiel: „Das Rumgetrampel darauf, dass wir irgendwie uncool seien, wenn wir darauf beharren, dass wir diese Werte geschaffen haben, ist im Grunde genommen nichts anderes, als wenn man uns ins Gesicht pinkelt.“
Der gesamte Wortlaut ist hier nachzuhören.
Die Fragen, ob es tatsächlich eine „Kostenloskultur“ gebe, ob milliardenschwere Internetkonzerne wie Google, inklusive dem Videodienst Youtube, mächtiger oder böser als die Plattenfirmen oder Verwertungsgesellschaften sind, ob „Raubkopien“ nicht besser „Lizenzverletzungen“ genannt werden sollten, werden seit Jahren kontrovers, aber ebenso oft sachlich und reflektiert geführt.
Wer das vertiefen will, kann sich mal ein bisschen in Marcel Weiß' oder Mike Massnicks Blogs reinlesen oder, nur so als Beispiel, Johnny Haeuslers sehr differenzierten Artikel zum Streit zwischen Youtube und der Gema durchlesen. Ich kann und will das hier und jetzt gar nicht weiterführen.
Regener kotzt sich halt mal aus
Aber eine Diskussion über das Urheberrecht oder wie Künstler in einer Zeit, in der die Unterhaltungsindustrie trotz Rekordumsätzen den sterbenden Schwan spielt, sucht Sven Regener offenbar nicht. Er ist einfach genervt, kann das alles nicht mehr hören und kotzt sich halt mal aus.
Statt einer Diskussion fordert Sven Regener Respekt und Anstand im Umgang mit Künstlern. Und so sehr er damit recht hat und das teilweise auch recht drastisch und unterhaltsam vorträgt („Ansonsten können sich ja alle ihre Lieder von Kim Schmitz vorsingen lassen“), so sehr übersieht er offensichtlich, dass die Leute, die er explizit „Proleten“, „Deppen“, „Banausen“ und zwischen den Zeilen Diebe, Zahlungsunwillige und Mainstream-Ärsche nennt, ebenso ein bisschen Respekt und Anstand erwarten.
schreibt seit 15 Jahren ins Internet und seit fast 10 jahren auf wirres.net, muss sein Geld aber als festangestellter Webseitenbauer und Berater verdienen.
Warum darf man beispielsweise Platten weiterverkaufen, legal gekaufte MP3s aber nicht? Warum waren CDs jahrelang um ein Vielfaches teurer als Vinyl-Platten, obwohl sie viel günstiger herzustellen waren? Warum kosten Lieder als Klingelton fürs Handy so absurd viel? Warum ist es so oft verboten, die Band, die man als Fan verehrt, auf einem Konzert zu fotografieren? Warum ist es verboten, ein Lied, das man liebt, mitzusingen und das auf Youtube zu stellen?
Warum kämpfen Plattenfirmen dafür, dass einem für wiederholte Lizenzverletzungen die Kommunikationsmöglichkeiten genommen werden dürfen (Verwerterdeutsch: „Three Strikes“-Regelung), wenn das der Verwerter, Lizenzgeber oder seine Anwälte so wollen — und nicht etwa ein Richter?
Grundlage für Respekt und Anstand
Natürlich ist ein diffuses Gefühl, von einer Industrie verarscht zu werden kein Grund deren Lizenzbedingungen und Spielregeln zu brechen, aber möglicherweise ist dieses Gefühl auch nicht die beste Grundlage für gegenseitigen Respekt und Anstand.
Sven Regener spricht an anderer Stelle von Spielregeln, an die man sich halten müsse. Mag sein, dass er die Regeln kennt und beispielsweise zwischen „mechanischen Rechten“ und den sogenannten „Sync-Rechten“ unterscheiden kann.
Aber woher soll ein 13-Jähriger (oder ein „Prolet“) diese Unterschiede kennen oder erkennen, dass das was Radio, Fernsehen, Supermärkte oder Youtube machen legal ist und Musik scheinbar kostenlos in die Welt blasen dürfen, er sich aber in das Fadenkreuz von Regeners Anwälten begibt, wenn er in seiner jugendlichen und juristischen Unbedarftheit dasselbe auf seiner Homepage tut?
Leute, die finden, dass das Urheberrecht möglicherweise zu kompliziert ist oder dass neue, einfache, zeitgemäße Möglichkeiten, Musik zu verwerten, gesucht werden müssen, einfach als verlogene, doppelzüngige Piraten zu beschimpfen, hilft bei einer respektvollen oder anständigen Diskussion auch nicht wirklich. Zumindest könnte es helfen, mal zu fragen oder zu gucken, ob die auf der anderen Seite ihr Verhalten nicht vielleicht radikal ändern, wenn sie selbst Respekt und Anstand spüren und man ihnen offen, ohne Beschimpfungen und Unterstellungen gegenübertritt.
Schaden kanns jedenfalls nicht.
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