Kommentar Unterhaltsrecht: Ein problematisches Urteil
Das Urteil des Bundesgerichtshof zum Unterhaltsrecht fragt nicht, welche nervliche und zeitliche Belastung die Betreuung eines Kindes mit sich bringt. Ein Fehler.
Barbara Dribbusch ist Inlandsredakteurin der taz.
Es ist kein abschließendes Urteil, das der Bundesgerichtshof (BGH) am Mittwoch zum neuen Unterhaltsrecht gefällt hat. Wegweisende Bedeutung kommt ihm aber trotzdem zu. Es ging um den Fall einer geschiedenen Lehrerin, die wegen ihres achtjährigen Sohnes nur auf einer 70-Prozent-Stelle tätig sein möchte.
Der Exmann will der Frau keinen aufstockenden Unterhalt mehr zahlen, da der Sohn ganztags in einer Kita untergebracht sei, weswegen die Mutter Vollzeit arbeiten könne. Anstatt nun ein Machtwort zu sprechen und der Mutter keine Vollzeittätigkeit zuzumuten, verwies der BGH die Sache zur genaueren Einzelfallprüfung an das Kammergericht Berlin zurück. Interessant ist dabei der Tenor des Urteils.
Der BGH verweist in der Frage einer möglichen Vollzeittätigkeit der Mutter vorrangig auf den Umfang der externen Betreuung des Kindes und dabei auch auf die Öffnungszeiten des Schülerhortes. Mit anderen Worten: Wenn nur irgendwie die Arbeitszeiten der Mutter mit den Öffnungszeiten der Einrichtungen übereinstimmen und das Kind einigermaßen gesund ist, dann ist ein Vollzeitjob zumutbar - gleich, welche nervlichen und zeitlichen Belastungen eine Kinderbetreuung noch mit sich bringt. Genau dieser Tenor aber zeigt, wie schwierig es ist, Unterhaltsleistungen zu verrechnen mit dem Verschleiß an Nerven, Aufmerksamkeit und Zeit, die Kinderbetreuung mit sich bringt - und zwar als Bereitschaftsdienst rund um die Uhr.
Schon im Vorfeld des BGH-Urteils sorgte die Aussage des Anwalts des Vaters, die Mutter müsse doch abends "nur eine Kartoffel mehr" in den Topf werfen, um ihren Sohn zu versorgen, wohl für zynische Heiterkeit bei vielen Betreuenden. Die Gerichte müssen in der Einzelfallprüfung nun wieder tief in die Privatsphäre eintauchen.
Doch es gibt noch andere soziale Folgekosten des neuen Unterhaltsrechts. Dass es nämlich manche Leute, Mütter wie betreuende Väter, einfach nervlich nicht schaffen, als Alleinerziehende einem Vollzeitjob und der Schulkindbetreuung über viele Jahre hinweg gleichermaßen gerecht zu werden - diese Überforderung kam nur kurz zur Sprache. Es wäre gut gewesen, der BGH wäre darauf ausführlicher eingegangen.
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