Kommentar Union: Konservativer Phantomschmerz
Merkels postideologischer Politik fehlt es an Aufladung mit Sinn und leuchtenden Ideen. Doch damit ist sie Avantgarde. Das Zweifeln in ihrer Partei bleibt nur Hintergrundrauschen.
A ngela Merkel versteht, wie postideologische Politik funktioniert. Politik macht man situativ - je nach Lage. Was mittelfristig keine Mehrheiten verspricht, lässt man am besten über Bord gehen. Nur so lässt sich etwa ihr Schwenk in der Atompolitik begreifen.
Schön sieht diese Politik nicht aus. Ihr fehlt es an Aufladung mit Sinn und umfassenden, leuchtenden Ideen. Doch damit ist Merkel in gewisser Weise Avantgarde: In einer Gesellschaft, in der soziale Milieus und Stammwählergruppen schrumpfen, mit eher geringem Bedarf an Feindbildern und ohne jedes utopische Zukunftsversprechen, ist nüchternes Durchwurschteln nur konsequent. Damit hat Merkel die Union nebenbei sogar reif für Schwarz-Grün gemacht.
Allerdings hat ihr Stil einen Preis. Politik ohne Leidenschaft schrumpft rasch zum Verwaltungsakt. Es ist kein Zufall, dass Merkel & Co das Adjektiv "alternativlos" mal auf die Laufzeitverlängerung, dann auf den Atomausstieg, mal auf die Eurorettung, dann auf das Nein zur Aufstockung des Rettungsschirms kleben. Merkels größte Schwäche ist, dass sie ihre Politik nicht zu begründen weiß.
Nichts zu befürchten hat die CDU-Chefin indes von Zweiflern in der eigenen Partei. In der ersten Reihe gibt es sowieso keine Merkel-Kritiker mehr. Und die Scharmanns, Wagners und Möhrings kommen über Nörgelei kaum hinaus. Sie fordern mehr Standhaftigkeit bei der Eurokrise - Athen pleitegehen lassen wollen sie aber auch nicht.
Manche fordern christliche Prinzipienfestigkeit, aber jenseits von ein paar katholischen Hochburgen lässt sich mit Anti-Homoehen-Parolen kein Blumentopf gewinnen. Solange Merkel Kanzlerin ist, wird diese Kritik nur Hintergrundrauschen bleiben. Aber nur so lange.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Gedenken an Hanau-Anschlag
SPD, CDU und FDP schikanieren Terror-Betroffene
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung
Trump, Putin und Europa
Dies ist unser Krieg
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Bundestagswahl für Deutsche im Ausland
Die Wahl muss wohl nicht wiederholt werden