Kommentar Umweltskandal der Firma Envio: Es fehlen die unabhängigen Gutachter
In einem der größten deutschen Umweltskandale sollen Arbeiter zu Schaden gekommen sein. Der Fall des Dortmunder Unternehmens Envio ist ein Lehrstück in krimineller Gier.
D er Unternehmer aus Dortmund war offensichtlich ein Verbrecher ohne jede Skrupel. Er hat nach derzeitigem Wissensstand nicht nur hochgiftige Produkte illegal entsorgt, sondern dabei auch noch ein paar Euro für den Schutz seiner Angestellten gespart. Über das Lehrstück in krimineller Gier hinaus bringt der Fall einen Teil unserer Technik ans Licht, der dort überhaupt nicht hinmöchte: die gute alte Chemie am Arbeitsplatz und in der Umwelt – und den Umgang mit Schadensfällen vor Gerichten.
Es gibt Hunderttausende nützliche chemische Verbindungen. Die meisten davon sind auch kaum gesundheitsschädlich. Einige tausend allerdings schon. Und auch mit den schädlichen wird Geld verdient, teilweise sehr viel Geld. Wenn nun jemand dadurch einen Schaden erleidet, hat er in Deutschland ein Problem, wenn er Schadenersatz erreichen will.
Die Materie ist kompliziert. Viele Verbindungen, wie auch das PCB in diesem Fall, greifen auf das Nervensystem zu und verursachen zwar bekannte, aber eben etwas komplexere Krankheitsbilder. Die muss der behandelnde Arzt erst mal erkennen, dann muss er auch beweissichernde Maßnahmen einleiten.
ist stellvertretender Chefredakteur der taz.
Kaum ein Richter oder Anwalt kennt sich damit aus. Also kommt es auf Fachleute an, die als Gutachter vor Gericht aussagen. Die Zahl der Gutachter aber ist beschränkt. Unabhängige, also nicht von der chemischen Industrie bezahlte Arbeits- und Umweltmediziner gibt es kaum noch. Denn wenn ein Institut in der heutigen Unilandschaft keine Drittmittel von der Industrie einwirbt, dann wird es dichtgemacht. Und warum sollte die chemische Industrie ihre eigenen Kritiker bezahlen? So schließt sich der Kreis, und am Schluss muss ein Kläger viel Glück haben, damit ihm ansatzweise Gerechtigkeit widerfährt. Der Dortmunder Fall einer klar illegalen Entsorgungspraxis ist ja noch einer der klarsten Fälle der vergangenen Jahre.
Was wäre zu fordern? Maßnahmen, die wider den Zeitgeist gehen, die aber langfristig mehr Waffengleichheit in den Verfahren herstellten: zuerst eine staatliche Förderung der Umwelt- und Arbeitsmedizin. Ein klares Register, wer von wem bezahlt wird. Auch Fortbildungen für Juristen schaden sicher nicht. Dann endet vielleicht irgendwann die skandalöse Praxis, dass international gängiges Wissen über als giftig erkannte Stoffe und Vergiftungssymptome an deutschen Gerichten unberücksichtigt bleibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands