piwik no script img

Kommentar Thüringer VerfassungsschutzEin Abgrund an Landesverrat

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Welche Rolle der thüringische Verfassungsschutz gespielt hat, muss die Justiz klären. Sollten die Rechtsterroristen von ihm gedeckt worden sein, wäre das Landesverrat.

E s fällt schwer, noch an lauter Zufälle und bloße "Pannen" zu glauben - so konsequent haben die zuständigen Behörden bei ihrer Aufgabe versagt, die Zwickauer Terrorzelle rechtzeitig auszuheben. Das gilt - allen voran - für den Verfassungsschutz in Thüringen.

Dessen dubiose Rolle ist deshalb zu Recht inzwischen ein Fall für die Justiz: Die Staatsanwaltschaft in Erfurt ermittelt bereits gegen mehrere Personen wegen "möglicher Strafvereitelung im Amt".

Und das ist noch eine freundliche Umschreibung für "Beihilfe zum Terror". Denn es gibt einen Punkt, an dem bloßes Unvermögen in aktive Unterstützung umschlägt. Und diese Grenze hat die Behörde irgendwann überschritten.

Bild: taz
DANIEL BAX

ist Meinungsredakteur der taz.

Oder wie soll man es nennen, dass der Thüringer Verfassungsschutz den Rechtsterroristen über einen Mittelsmann 2.000 Euro zuspielen wollte, damit diese sich mit dem Geld falsche Pässe besorgen sollten? Mit diesem hanebüchenen Plan hoffte die Behörde angeblich, den Gesuchten auf die Spur zu kommen. Doch als der Mittelsmann das Geld für sich behielt, gaben die Beamten den Plan einfach auf.

Später besorgten sich die drei Rechtsterroristen dann tatsächlich neue Pässe - ganz legal, auf einem Meldeamt in Sachsen. Angeblich hatte es der Verfassungsschutz in Thüringen schlicht versäumt, die Meldebehörden des Nachbarlands darüber zu informieren, dass es sich um gesuchte Straftäter handelte.

Die Liste solcher "Pannen" und Ungereimtheiten ist lang - mit Dilettantismus allein lässt sie sich kaum noch erklären. Aber wie dann?

Ein Abgrund an Landesverrat täte sich auf, sollten die Rechtsterroristen von staatlichen Stellen gedeckt worden sein. All jene, die schon lange die Auflösung der Thüringer Verfassungsschutzbehörde fordern, haben jetzt gute Argumente auf ihrer Seite. Immer unverständlicher dagegen erscheint, warum sich etwa die SPD immer noch einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss verschließt. Nur er könnte endlich mehr Licht in diese Affäre bringen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • A
    Aufklärer

    Wer die Unterlagen des Verfassungsschutz studiert den wundert gar nichts mehr. Z.B der Verfassungsschutz in BW wurde von einem Gestapo und SS-Mörder aufgebaut der in Frankreich wegen mehrfachen Mord und Folter gesucht wurde. Er wurde aber nicht ausgeliefert sonder von den Behörden gedeckt und bekam sogar noch Rente für die Zeit bei der Gestapo und SS. siehe Artikel

     

    http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.verfassungsschuetzer-aus-dem-suedwesten-der-spezialist-fuer-linke-war-einst-ss-mann.3386adb1-ca25-4a09-a431-be5e06f640dc.html

     

    Der Braune Filz ist grauenhafter als sich manche das gerade vorstellen können.

  • C
    Carsten

    Es drängt sich der Verdacht auf, dass die NPD gar keine Partei ist, sondern eine "Abteilung für besondere Aufgaben" des Verfassungsschutzes. Dazu passt ja auch, dass sich die NPD beim "Zensus 2011" freudig mithelfen wollte bzw. geholfen hat.

  • G
    gerd

    man sollte aber auch mal die Kirche im Dorf lassen. keiner der sonst allwissenden medienvertreter hat bei den dönermorden eine nazi-these aufgestellt und hatte irgendeine ahnung.

    jetzt kommen alle aus ihren löchern und wollen das schon immer gewusst haben. das ist eigentlich nur bigott.

    im endeffekt sieht es so aus, dass da vor 10 jahren drei arme würstchen untergetaucht sind, wahrscheinlich neben hunderten anderen. dann hat man von behördenseite ein bisschen james bond gespielt, hat die typen nicht gefasst und dann sind die in vergessenheit geraten, weil wahrscheinlich schon die nächste sau durchs dorf getrieben wurde.

    jetzt ist das natürlich gefundenes fressen, mal wieder über den verfassungsschutz zu hyperventilieren. jenseits der empörungsreflexe bleiben zwei einfache fragen: 1) gab es irgendeinen hinweis auf die taten des trios in den 10 jahren? und 2) wozu eigentlich den ganzen aufwand wenn der verfassungsschutz ohnehin nur zufallstreffer einfährt?

    insbesondere 2) hätte ich als steuerzahler gern geklärt. auch die typen von der militanten gruppe sind ja auch nur durch einen zufall aufgeflogen, ähnlich wie jetzt die drei aus zwickau. wenn da ohnehin nichts rauskommt, kann man sich den ganzen teuren zirkus mit 16 behörden und zig V-leuten links wie rechts auch sparen.

  • T
    Toby

    Ja, warum verschließt sich die SPD denn?

  • SM
    Schlapphut mit Sonnenbrille

    man stelle sich mal spasseshalber derartig fadenscheinige Begründungen in einem beliebigen anderen Fall vor.

  • P
    PeterWolf

    "Angeblich hatte es der Verfassungsschutz in Thüringen schlicht versäumt, die Meldebehörden des Nachbarlands darüber zu informieren, dass es sich um gesuchte Straftäter handelte."

     

    Vorausgesetzt, dass "gesuchte Straftäter" mit einem Haftbefehl gesucht werden:

     

    Seit wann ist es die Aufgabe eines Verfassungsschutzes, Meldebehörden über Haftbefehle zu informieren?

    Ich bin bisher davon ausgegangen, dass Haftbefehle von Richtern ausgestellt und von der "Polizei" vollstreckt werden, inklusive der Fahndung dazu.

    Und nicht von einer "geheimen Staatspolizei".

     

    Wobei ich selbstverständlich keine anderen Fehlleistungen der Verfassungsschutzbehörden rechtfertigen will.

  • M
    Marek

    @Ralf

    Das ist etwas naiv und zu vereinfachend, denn es gibt auch Landesämter für Verfassungsschutz, die nicht im rechten Dunstkreis waren und sind. Es spricht viel dafür, dass sich rechtslastige Menschen eher zu solchen Behörden hingezogen fühlen, aber das bedeutet nicht, dass sie dort zu aktiven Neo-Nazis werden, obwohl es in Thüringen möglich wäre.

     

    Letztlich hilft nur Aufklärung und das ist bei solchen Organisationen ja so eine Sache, schließlich ist es auch deren Aufgabe, ihre Informationen unerkannt, im Verborgenen zu besorgen und offenbar waren sie auch blöd genug, diesen jungen Neo-Nazis auf den Leim zu gehen, anderenfall sind die 2000 Mark ja nicht erklärbar. Vielleicht ist das auch nur die eine Wahrheit.

  • B
    BadS

    Inzwischen dürfte selbst den wohlmeinendsten und grundsätzlich amtsgläubigen Konservativen (mit ehrlicher Antipathie gegenüber Nazis) dieses Landes die Hutschnur geplatzt sein. Wenn schon quasi freiwillig eingestanden wird, man habe sowohl die drei Mörder als auch ihr unmittelbares Umfeld geschützt und mit Geld versorgt, fragt man sich, was denn wohl noch alles mit dem Stempel "Vertraulich - nur für den Dienstgebrauch" zugedeckt wurde. Allmählich müsste selbst Leuten wie der Köhler/Schröder übel werden.

     

    Müsste.

     

    Es sei denn, es gab und gibt auf der dem Verfassungsschutz übergeordneten politischen Ebene Wünsche, Winke und Anordnungen, doch bitte die (potentiell zukünftig benötigten) Erzfeinde aller Linken in Ruhe lassen. Das wäre immerhin eine Erklärung sowohl für das bisherige "Versagen" der Apparate als auch des (empörend wie auch beschämend) geringen Echos aus den Kreisen der Herrschenden.

     

    All dieses habe ich zwar bisher für theoretisch möglich gehalten, nun wird es aber zur physischen Tatsache.

  • R
    Ralf

    Es ist doch überhaupt kein Wunder, das der Verfassungsschutz rechtsradikal ist oder zumindest Rechtsradikale unterstützt. Eine Entnazifizierung hat schließlich nie stattgefunden Dieser Dienst ist, genau wie gr0ße Teile der Justiz, der BND, der Mad und auch die Polizeibehörden nahezu bruchlos aus den entsprechenden Naziorgansationen hervorgegangen. Ungläubig kann man nur ob der Naivität des Autors werden. Oder ist dies die Gnade der all zu späten Geburt? ich bin allerdings selbst Jahrgang 59, was allerdings diese Einsicht nicht unterbindet.