Kommentar Thüringens SPD: Arrogante Basta!-Politik
Die SPD gehörte zur Regenerierung in die Opposition - aber sie muss regieren in Thüringen.
Thüringen kann als das Mutterland der Sozialdemokratie in Deutschland gelten. In Eisenach wurde 1869 die SDAP gegründet, die Programme von Gotha und Erfurt markieren Richtungsentscheidungen. Es klingt gewagt, aber zumindest ein Impuls für die Renaissance der dringend therapiebedürftigen Partei könnte erneut von hier ausgehen. Nach der spontanen und äußerst vitalen Basiskonferenz vom Sonnabend in Erfurt mag man nicht recht glauben, dass die SPD am besten in die "geordnete Insolvenz" zu schicken wäre, wie in der Süddeutschen verordnet.
Der ziemlich einmalige Basisaufstand in Thüringen wäre mit "Selbstzerlegung" zu simpel umschrieben. Basisdemokratie kann in einer solchen Zerreißprobe auch einmal anarchische Züge annehmen. Eigentlich fehlte nur noch der Ruf "Wir sind das SPD-Volk!". Der Druck der Sinn- und Existenzkrise der SPD kann offenbar ursprüngliche Energien dieser Partei mobilisieren. Solange es schlichte Mitglieder und Ehrenamtler gibt, die mit solcher Vehemenz sozialdemokratische Ideale vertreten, muss man die SPD zumindest in ihrer Suche nach einem Ort zwischen links und Mitte ernst nehmen.
Freilich äußert sich da mehr eine Ahnung, ein gefühltes Linkssein als eine intellektuell und programmatisch untersetzte Position. Erfurt zeigt aber auch, dass die konfuse Partei in ihrem Selbstfindungsprozess Pluralitäten aushalten und ganz anders moderieren muss. Nachwirkungen von Schröders "Basta!"-Stil wirken sich jetzt umso verheerender aus. Insofern hat der Christ und Theologe Christoph Matschie noch eine Menge zu lernen. Sein Pokern um einen puren Machterhalt wirkt ignorant, arrogant und vor allem kurzsichtig. Die SPD gehörte zur Regenerierung in die Opposition - aber sie muss regieren in Thüringen.
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