Kommentar Streit über Ärzte-Honorare: Rumpelstilzchen in Weiß
Wenn Maßlosigkeit einhergeht mit Realitätsverlust, ist das gefährlich. Es wäre eine politische Überlegung wert, über einen Systemwechsel nachzudenken.
F ast möchte man Mitleid haben mit den niedergelassenen Ärzten: Sie haben nicht bloß ein Honorarplus von hochmütigen elf Prozent gefordert. Nein, sie haben auch geglaubt, dieses durchzusetzen. Entsprechend unbändig ist jetzt ihre Wut.
In Rumpelstilzchen-Manier begehen sie Tabubruch, beschimpfen Kassen und Schlichter, kündigen vor Ablauf der Friedenspflicht Streiks und Prozesse an. Und beleidigen damit vor allem ihre Patienten. Denn diese finanzieren aus ihren Beiträgen die Ärzte und verstehen nicht, dass man – bei allem Respekt – von durchschnittlich 165.000 Euro im Jahr nicht eine Praxis betreiben und okay leben können soll.
Wenn Maßlosigkeit einhergeht mit Realitätsverlust, ist das gefährlich. Die Ärzte müssen sich überlegen, wer sie sein wollen: freie Unternehmer? Als solche gerieren sie sich, wenn es etwa darum geht, die Verordnung überteuerter Medikamente zu rechtfertigen (Therapiefreiheit!) oder ihre vermeintliche Unbestechlichkeit gegenüber der Pharmaindustrie (wir sind keine Beamten!). Droht indes ein selbst verhandelter Honorarabschluss, der den Ärzten nicht schmeckt, rufen sie nach dem Staat: Der Minister soll es richten!
ist gesundheitspolitische Redakteurin der taz.
Beides zusammen geht nicht. Sondern führt zu dem Eindruck, die Ärzte seien überfordert mit ihrer Rolle. Für solche Mediziner halten übrigens die Niederländer ein schönes Modell parat: Sie tolerieren nur einige Hausärzte mit eigener Praxis. Fachärzte dagegen arbeiten fast ausschließlich in Krankenhäusern – mit Tarifgehalt, Nachtschichten und einer, nun ja, übersichtlichen Gestaltungsfreiheit.
Es wäre eine politische Überlegung wert, über den Systemwechsel auch hierzulande nachzudenken. Und den niedergelassenen Ärzten zu signalisieren: Sie wurden gehört.
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