Kommentar Streiks: Der Lokführer-Effekt

Der Eigennutz der GdL kommt wohl doch allen zugute: Endlich fordern auch die Mitglieder von Verdi einen Ausgleich für die in den letzten Jahren hingenommenen Lohneinbußen.

Eine Streikwelle, wie sie diese Republik lange nicht gesehen hat, schwappt über Deutschland. Mit ungewöhnlich heftigen Warnstreiks im öffentlichen Dienst machte die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di Druck auf die laufenden Tarifverhandlungen. Die Beschäftigten der Berliner Verkehrsbetriebe begannen einen unbefristeten Ausstand, der den Nahverkehr der Hauptstadt weitgehend lahmlegt. Und ab Montag wollen die Lokführer den Bahnverkehr wieder zum Stillstand bringen - komplett und unbefristet.

Alle diese Streiks haben unterschiedliche Ursachen und Anlässe. Eines haben sie jedoch gemein: Den Beschäftigten reicht es. Während die Wohlhabenden dieses Landes immer reicher wurden, mussten sie in den vergangenen Jahren trotz Aufschwung reale Lohneinbußen hinnehmen. Nun fordern die Streikenden zu Recht einen Ausgleich und stoßen damit in der Bevölkerung auf große Sympathien.

Es geht schließlich nicht nur um mehr Geld, sondern auch um Würde. In den vergangenen Jahren hat die Arbeitskraft in Deutschland dramatisch an Wert verloren; immer mehr Menschen müssen einen dauerhaften sozialen Abstieg fürchten. Schuld daran ist nicht nur die Globalisierung, die stets für die Begründung sozialen Unbills herhalten muss. Verantwortlich dafür waren auch die rot-grünen Hartz-Reformen, die von CDU und FDP unterstützt wurden. Sie haben zur massiven Ausweitung von Minijobs, Leiharbeit und befristeter Beschäftigung geführt. Damit wurden nicht nur Löhne gedrückt, sondern auch die Organisations- und Durchsetzungsfähigkeit der Gewerkschaften geschwächt.

Die schlagen jetzt zurück. Den Anfang machte die kleine Lokführergewerkschaft, die als erste den Stimmungsumschwung witterte. Danach trat die sonst eher zurückhaltende Großgewerkschaft Ver.di auf den Plan. Sie tritt - mit ihrem Streik im Berliner Nahverkehr - jetzt auch deshalb so entschieden auf, weil sie fürchtet, eine allzu zaghaft geführte Tarifrunde könnte unzufriedene Mitglieder dazu verleiten, sich nach Berufsgruppen in eigene Gewerkschaften abzuspalten.

So könnte das, was die Lokführer aus Eigennutz begannen, am Ende allen zugute kommen.

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Geboren 1969 in Ost-Berlin. Studium an der FU Berlin. Bei der taz seit 1999, zunächst im Berliner Lokalteil. Schwerpunkte sind Verkehrs- und Unternehmenspolitik.

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