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Kommentar Strauss-KahnMacht, Wahrheit und die Folgen

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Die Kräfteverhältnisse im Fall Strauss-Kahn haben sich über Nacht umgekehrt. Selbst die Rollenverteilung ist nicht mehr ganz klar. Wer ist das Opfer?

W ie häufig, wenn in spektakulären Justizfällen mangels Augenzeugen Wort gegen Wort steht, existiert zwischen dem Anklagenden und dem Angeklagten ein fragwürdiges Kräfteverhältnis. Grundsätzlich hat jede Seite dasselbe Recht, von einer unvoreingenommenen Gerichtsbarkeit angehört zu werden.

Doch wie ebenbürtig sind diese Kontrahenten, wenn der Angeschuldigte ein international bekannter, mächtiger und über enormen Einfluss und Vermögen verfügender Politiker ist, und auf der Gegenseite eine dem Vernehmen nach seriöse und fromme afrikanische Immigrantin, eine alleinerziehende Mutter, die mit Glück einen Job in einem Luxushotel gefunden hat?

Das war die Ausgangslage im Fall DSK. Er hatte die Rolle des brutalen Vergewaltigers zugeteilt bekommen - und sie nach Meinung der Medien wegen seiner bekannten Neigungen als notorischer Schürzenjäger auch verdient. Nafissatou Diallo dagegen bekam jene des sozial schwächeren Opfers, das Anspruch auf Schutz und Mitleid hat.

RUDOLF BALMER

ist Frankreich-Korrespondent der taz.

Auf Strauss-Kahns verbrieftes Recht auf Unschuldsvermutung zu pochen, tönte in diesem Kontext wie ein verwerflicher Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Klägerin. Auch sie hat zumindest ebenso sehr ein Recht auf die Unschuldsvermutung. Vielleicht ist Nafissatou Diallo jetzt mehr denn je darauf angewiesen. Ihr Wunsch, vor der öffentlichen Neugier geschützt zu werden, ist durch Enthüllungen der US-Presse verdächtig geworden.

Die Kräfteverhältnisse haben sich über Nacht in dramatischer Weise umgekehrt. Selbst die Rollenverteilung ist nicht mehr ganz klar. Wer ist das Opfer? Wenn Wort gegen Wort steht, sagt eine Seite die Wahrheit, die andere lügt. Nur ist die Wahrheit, welche die Justiz auf ihren verschlungenen Wegen finden soll, manchmal komplizierter.

Falls es sich aber herausstellen sollte, dass die Klägerin nicht nur gelogen, sondern den Schutz des Gesetzes beansprucht hat, um in Wirklichkeit ihre eigene Verwicklung in illegale Pläne oder gar eine kriminelle Vergangenheit zu decken, hat sie damit ein Beispiel gegeben, das sich schlimm auswirken kann: gegen Frauen, die Opfer sexueller Nötigung und Gewalt werden, und gegen sozial Schwächere, die sich auf das Gesetz berufen, um sich gegen Mächtigere zur Wehr zu setzen.

Welcher amerikanische Staatsanwalt wird künftig noch einem schwarzen Zimmermädchen glauben, das von einem betuchten Hotelgast belästigt wurde, falls sich der Fall DSK als monströse Lüge erweisen sollte?

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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6 Kommentare

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  • FL
    falsche logik

    "Gesetzes beansprucht hat, um in Wirklichkeit ihre eigene Verwicklung in illegale Pläne oder gar eine kriminelle Vergangenheit zu decken"

     

    diese logik ist schlicht falsch!

     

    jemand der kriminele dinge tut, deckt doch nicht seine verwicklung in diese indem er/sie wegen etwas völlig anderem zur polizei geht und sich der weltöffentlichkeit aussetzt.

     

    diese person riskiert mit diesem schritt doch gerade, dass ihre kriminellen tätigkeiten auffliegen.

  • SB
    Siegfried Bosch

    War ja klar, dass auch dieser Kommentar in der TAZ die Wendung zu den Frauen als Opfer vollbringen musste:

    "hat sie damit ein Beispiel gegeben, das sich schlimm auswirken kann: gegen Frauen, die Opfer sexueller Nötigung und Gewalt werden, und gegen sozial Schwächere, die sich auf das Gesetz berufen, um sich gegen Mächtigere zur Wehr zu setzen."

    Bezeichnend, dass hier nicht wirklich kritisiert wurde, dass die Medien überhaupt Rollen zuweisen und Partei ergreifen oder dass nicht einmal in Erwägung gezogen wurde, dass es bereits heute Opfer der derzeitigen Zustände geben könnte, nämlich Männer, die trotz formal gültiger Unschuldsvermutung unschuldig im Gefängnis sitzen und auch Männer, die trotz Freispruch durch Anklagen beschädigt sind (Strauss-Kahn hat eine Voraussetzung dafür schon erfüllt: Er hat seine Führungsposition beim IMF verloren und auch die französische Präsidentschaft wird er sich abschminken können; auch Kachelmann wird seine Auslagen nicht ganz erstattet bekommen, und wird nicht mehr im Fernsehen auftreten können); keineswegs sichere Auswirkungen auf Frauen hingegen werden lang und breit behandelt. Hoch lebe der Doppelstandard!

  • N
    nanikk

    Natürlich dieselben Staatsanwälte wie vorher auch: Schließlich garantiert einem die David-gegen-Goliath-Story doch weiterhin jede Menge mediale Aufmerksamkeit.

     

    Was sich möglicherweise ändern könnte, wäre die Sorgfalt, mit der Anschuldigungen geprüft werden, bevor man sie in der Presse verhandelt - und das wäre definitiv ein Gewinn. Und vielleicht ändert sich ja sogar der Schutz MÖGLICHER Täter; das Bewusstsein, dass man MÖGLICHE Opfer schützen sollte, hat ja lange genug gebraucht, um sich endlich durchzusetzen.

  • P
    p3t3r

    Welcher amerikanische Staatsanwalt wird künftig noch einem schwarzen Zimmermädchen glauben, das von einem betuchten Hotelgast belästigt wurde, falls sich der Fall DSK als monströse Lüge erweisen sollte?

     

    diese fragestellung öffnet doch schon das was da gefragt wird!

     

    wieso wird die fragestellung nicht in richtung der monströsen hintermänner gestellt, welche ein sozial schwaches afrikanisches zimmrmädchen ausgenutzt haben, um evtl. eine andere machtfigur bloßzustellen

  • HJ
    Hans- Jürgen Schroeder

    Es gibt dazu noch einen "kleinen" Seitenaspekt, dem heutzutage leider keine Aufmerksamkeit mehr zuteil wird:

    Wie kann ein "Sozialist" eine Kaution von ca. 5 Mil-lionen US-$ aufbringen?

    Auch darüber könnte man ja auch einmal nachdenken!

    MfG.

    hjsbi-nrw

  • D
    Denise

    Tja, der Sozialist Strauss-Kahn hat halt die Kohle um sich freizukaufen...