Kommentar Strauss-Kahn: Macht, Wahrheit und die Folgen

Die Kräfteverhältnisse im Fall Strauss-Kahn haben sich über Nacht umgekehrt. Selbst die Rollenverteilung ist nicht mehr ganz klar. Wer ist das Opfer?

Wie häufig, wenn in spektakulären Justizfällen mangels Augenzeugen Wort gegen Wort steht, existiert zwischen dem Anklagenden und dem Angeklagten ein fragwürdiges Kräfteverhältnis. Grundsätzlich hat jede Seite dasselbe Recht, von einer unvoreingenommenen Gerichtsbarkeit angehört zu werden.

Doch wie ebenbürtig sind diese Kontrahenten, wenn der Angeschuldigte ein international bekannter, mächtiger und über enormen Einfluss und Vermögen verfügender Politiker ist, und auf der Gegenseite eine dem Vernehmen nach seriöse und fromme afrikanische Immigrantin, eine alleinerziehende Mutter, die mit Glück einen Job in einem Luxushotel gefunden hat?

Das war die Ausgangslage im Fall DSK. Er hatte die Rolle des brutalen Vergewaltigers zugeteilt bekommen - und sie nach Meinung der Medien wegen seiner bekannten Neigungen als notorischer Schürzenjäger auch verdient. Nafissatou Diallo dagegen bekam jene des sozial schwächeren Opfers, das Anspruch auf Schutz und Mitleid hat.

ist Frankreich-Korrespondent der taz.

Auf Strauss-Kahns verbrieftes Recht auf Unschuldsvermutung zu pochen, tönte in diesem Kontext wie ein verwerflicher Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Klägerin. Auch sie hat zumindest ebenso sehr ein Recht auf die Unschuldsvermutung. Vielleicht ist Nafissatou Diallo jetzt mehr denn je darauf angewiesen. Ihr Wunsch, vor der öffentlichen Neugier geschützt zu werden, ist durch Enthüllungen der US-Presse verdächtig geworden.

Die Kräfteverhältnisse haben sich über Nacht in dramatischer Weise umgekehrt. Selbst die Rollenverteilung ist nicht mehr ganz klar. Wer ist das Opfer? Wenn Wort gegen Wort steht, sagt eine Seite die Wahrheit, die andere lügt. Nur ist die Wahrheit, welche die Justiz auf ihren verschlungenen Wegen finden soll, manchmal komplizierter.

Falls es sich aber herausstellen sollte, dass die Klägerin nicht nur gelogen, sondern den Schutz des Gesetzes beansprucht hat, um in Wirklichkeit ihre eigene Verwicklung in illegale Pläne oder gar eine kriminelle Vergangenheit zu decken, hat sie damit ein Beispiel gegeben, das sich schlimm auswirken kann: gegen Frauen, die Opfer sexueller Nötigung und Gewalt werden, und gegen sozial Schwächere, die sich auf das Gesetz berufen, um sich gegen Mächtigere zur Wehr zu setzen.

Welcher amerikanische Staatsanwalt wird künftig noch einem schwarzen Zimmermädchen glauben, das von einem betuchten Hotelgast belästigt wurde, falls sich der Fall DSK als monströse Lüge erweisen sollte?

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Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.

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