Kommentar Stellenabbau in Deutschland: Die ohne Abfindungen sieht man nicht

Finanziell gepolsterte Kündigungen sind nicht so normal wie man denkt. Die meisten gehen ohne Abfindung aus kleineren und mittleren Betrieben raus. Und die Wirtschaft schrumpft wieder.

Stellenabbau bei Siemens, Jobverluste bei der Telekom - und jedes Mal sollen Abfindungen die Mitarbeiter motivieren, ihren Arbeitsplatz freiwillig zu räumen. Schnell könnte der Eindruck entstehen, als seien finanziell gepolsterte Kündigungen in Deutschland normal. Doch so ist es nicht. Abfindungen werden recht selten gezahlt, wie eine Untersuchung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung ergeben hat. Insgesamt erhalten nur 15 Prozent aller Gekündigten eine Abfindung.

Was ist mit den anderen? Das bleibt recht neblig. Denn wie sich der Stellenabbau in Deutschland real vollzieht, das ist nur schlecht erforscht. Bekannt ist vor allem die Ankündigungspolitik der Unternehmen. In den vergangenen Monaten kündigte etwa Henkel an, bis 2011 rund 1.000 Arbeitsplätze in Deutschland zu streichen; bei der Hypo Vereinsbank sollen mehr als 2.000 Jobs entfallen. Bei BMW sollen noch in diesem Jahr 7.500 Stellen im Inland gestrichen werden, was vor allem 5.000 Zeitarbeitskräfte trifft. Und bei Conti gelten jetzt 2.500 Jobs als entbehrlich.

Der Stellenabbau bei Konzernen ist immer eine Nachricht wert, weil der Umfang der Jobverluste erschreckt. Dennoch sind die Großunternehmen keineswegs repräsentativ. Die großen Fluktuationen finden bei den kleinen und mittleren Betrieben statt. Jährlich haben Millionen Menschen mit Arbeitslosigkeit zu tun. So konstatierte die Bundesagentur für Arbeit in ihrem aktuellen Monatsbericht, dass sich allein im Juni 595.000 Menschen arbeitslos gemeldet haben. Allerdings war ihre Situation bisher nicht aussichtslos: Dank des Booms sind sogar noch mehr Menschen wieder aus der Statistik der Arbeitsagentur ausgeschieden. Viele von ihnen haben neue Tätigkeiten gefunden.

Künftig allerdings dürfte es schwerer sein, wieder angestellt zu werden. Denn die deutsche Wirtschaft schrumpft neuerdings. Für den Herbst wird daher erwartet, dass die Arbeitslosenzahlen wieder steigen. Insofern täuscht sich die Gesellschaft nicht, wenn sie im Stellenabbau der Großkonzerne ein Symbol sieht: Es wird rau auf dem Arbeitsmarkt.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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