Kommentar Stammzellen: Die Heuchelei ist verwerflich
In der Stammzellenfrage wird der Bundestag einen Kompromiss auskungeln. Dabei ist das eigentlich ethisch Verwerfliche, Forschung mit unsinnigen Hindernissen zu bremsen.
Noch hat der Bundestag nicht entschieden, ob die bisherige Stichtagsregelung für die Einführung von Stammzellen nach Deutschland geändert wird oder nicht. Wegen des aufgehobenen Fraktionszwangs werden Bundestagsdebatten zum Thema immer gern als "Sternstunde des Parlaments" tituliert - das, was dabei herauskommt, sind aber wenig glanzvolle Kompromisslinien, die an Sinnlosigkeit und Heuchelei kaum zu überbieten sind.
Diejenigen, die möglichst ohne viel Aufhebens einfach forschen wollen in der Hoffnung, dass dabei etwas herauskommt, was Kranken hilft und zum Geld verdienen taugt, verlegen sich auf die Häppchentaktik: Wenn man den bisherigen Stichtag von 2002 auf 2007 verschiebe, dann sei doch ethisch alles so wie jetzt - an leidlich frisches Forschungsmaterial käme man dennoch, ohne sich mit den Fundis über neue Grundsatzfestlegungen streiten zu müssen. Irgendwann, wissen alle, muss man dann halt noch mal verschieben. Zwar ist das wohl die Linie, die am ehesten kompromissfähig ist. Unsinnig ist sie trotzdem. Wenn die Forschung vielversprechend und vertretbar ist - und kein Argument jenseits religiöser Befindlichkeiten, die für einen aufgeklärten säkularen Staat nicht von Belang sein können, spricht wirklich dagegen - dann sind solche Stichtage falsch.
Gern kommt auch das Argument, es sei verwerflich, dass mit Stammzellen, mithin also mit menschlichem Leben, Geschäfte gemacht werden. Auch das ist ein quasireligiöses Argument: Geschäfte mit Wohnungen, Trinkwasser, Nahrungsmitteln, Arbeitskraft und natürlicher Umwelt sind jedenfalls kaum ethisch korrekter. Dass das bis auf wenige Antikapitalisten niemanden schert, sich bei der Stammzellforschung aber regelmäßig die große bürgerliche Allianz der Bedenkenträger formiert, empört die zu Recht, die für sich oder Angehörige auf Forschungsergebnisse hoffen.
Die Hoffnung mag vergebens sein; niemand weiß, ob sich die optimistischen Erwartungen auf die Stammzellenforschung in absehbaren Zeiträumen verwirklichen oder nicht. Es nicht unbedingt zu versuchen, sondern die Forschung mit unsinnigen Hindernissen zu verlangsamen, ist das eigentlich ethisch Verwerfliche. BERND PICKERT
Kommentar Stammzellen: Die Heuchelei ist verwerflich
In der Stammzellenfrage wird der Bundestag einen Kompromiss auskungeln. Dabei ist das eigentlich ethisch Verwerfliche, Forschung mit unsinnigen Hindernissen zu bremsen.
Noch hat der Bundestag nicht entschieden, ob die bisherige Stichtagsregelung für die Einführung von Stammzellen nach Deutschland geändert wird oder nicht. Wegen des aufgehobenen Fraktionszwangs werden Bundestagsdebatten zum Thema immer gern als "Sternstunde des Parlaments" tituliert - das, was dabei herauskommt, sind aber wenig glanzvolle Kompromisslinien, die an Sinnlosigkeit und Heuchelei kaum zu überbieten sind.
Diejenigen, die möglichst ohne viel Aufhebens einfach forschen wollen in der Hoffnung, dass dabei etwas herauskommt, was Kranken hilft und zum Geld verdienen taugt, verlegen sich auf die Häppchentaktik: Wenn man den bisherigen Stichtag von 2002 auf 2007 verschiebe, dann sei doch ethisch alles so wie jetzt - an leidlich frisches Forschungsmaterial käme man dennoch, ohne sich mit den Fundis über neue Grundsatzfestlegungen streiten zu müssen. Irgendwann, wissen alle, muss man dann halt noch mal verschieben. Zwar ist das wohl die Linie, die am ehesten kompromissfähig ist. Unsinnig ist sie trotzdem. Wenn die Forschung vielversprechend und vertretbar ist - und kein Argument jenseits religiöser Befindlichkeiten, die für einen aufgeklärten säkularen Staat nicht von Belang sein können, spricht wirklich dagegen - dann sind solche Stichtage falsch.
Gern kommt auch das Argument, es sei verwerflich, dass mit Stammzellen, mithin also mit menschlichem Leben, Geschäfte gemacht werden. Auch das ist ein quasireligiöses Argument: Geschäfte mit Wohnungen, Trinkwasser, Nahrungsmitteln, Arbeitskraft und natürlicher Umwelt sind jedenfalls kaum ethisch korrekter. Dass das bis auf wenige Antikapitalisten niemanden schert, sich bei der Stammzellforschung aber regelmäßig die große bürgerliche Allianz der Bedenkenträger formiert, empört die zu Recht, die für sich oder Angehörige auf Forschungsergebnisse hoffen.
Die Hoffnung mag vergebens sein; niemand weiß, ob sich die optimistischen Erwartungen auf die Stammzellenforschung in absehbaren Zeiträumen verwirklichen oder nicht. Es nicht unbedingt zu versuchen, sondern die Forschung mit unsinnigen Hindernissen zu verlangsamen, ist das eigentlich ethisch Verwerfliche. BERND PICKERT
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Kommentar von
Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org