Kommentar Stalking-Urteil: Psychoterror ist kein Kavaliersdelikt
Stalking-Opfer gehen auch künftig leer aus. Mit diesem Urteil haben die Kasseler Richter die Chance vergeben, das Entschädigungsrecht sinnvoll weiterzuentwickeln.
W er Opfer einer Gewalttat wird, kann eine staatliche Opferrente und Ausgleich der beruflichen Schäden erhalten. Das sieht das Opferentschädigungsgesetz (OEG) vor. Langjähriger Psychoterror genügt hierfür aber nicht, entschied jetzt das Bundessozialgericht. Stalking-Opfer gehen auch künftig leer aus. Mit diesem Urteil haben die Kasseler Richter eine Chance vergeben. Statt das Entschädigungsrecht sinnvoll weiterzuentwickeln, legen sie es eng und kleinherzig aus.
Der Staat gewährt Opferrenten, weil er nicht in der Lage war, die Opfer von Gewalttaten wirksam zu schützen. Deshalb haben sie besonderen Anspruch auf staatliche Solidarität, auch wenn der Staat den Schaden nicht selbst verursacht hat. Dieser Gedanke aber gilt bei Stalking-Opfern in besonderem Maße.
Wenn ein Stalker sein Opfer über Monate, teilweise Jahre hinweg terrorisiert, erlebt dieses den Staat ebenfalls als ohnmächtig. Dass das Vertrauen des Opfers in den Schutz durch die Rechtsordnung lange Zeit enttäuscht wird, ist beim Stalking fast zwangläufig, weil Polizei und Justiz erst eingreifen können, wenn die Belästigungen exzesshaft werden.
CHRISTIAN RATH ist rechtspolitischer Korrespondent der taz. Er lebt und arbeitet in Freiburg.
Doch es nützt nichts, nun lange über das Urteil des Bundessozialgericht zu räsonieren. Wenn die Richter sagen, der Wortlaut des Opferentschädigungsgesetz hindere sie an einer großzügigen Lösung, dann muss eben das Gesetz geändert werden. So wie Stalking vor vier Jahren als Straftatbestand eingeführt wurde, so muss der beharrliche Psychoterror nun auch im OEG als Grundlage für staatliche Opferrenten benannt werden.
Stalking ist wirklich kein Kavaliersdelikt. Das sollte der Staat auch dort bekennen, wo es ihn Geld kostet. Zuständige Ministerin ist Ursula von der Leyen, bezahlen müssen am Ende die Länder.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt