Kommentar Sonderschulabschluss: Und wieder grüßt die Klassenpolitik
Die Bildungspolitiker wollen einen Sonder-Abschluss für Sonderschulen - viel eher sollten sie für mehr Integration der Sonderschüler an normalen Schulen sorgen.
Hilfsschüler" hat man sie früher genannt, später "Sonderschüler", heute heißen sie "Förderschüler". Das klingt gut, nach Unterstützung, nach bestmöglicher Betreuung, nach Kümmern. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die mehr als 400.000 Förderschüler sind die größten Verlierer des deutschen Bildungssystems. Rund 80 Prozent von ihnen bekommen keinen Hauptschulabschluss, auf dem Arbeitsmarkt haben sie so gut wie keine Chance.
Für Sonderschüler einen neuen Sonder-Abschluss zu erfinden, ändert an den Problemen überhaupt nichts. Im Gegenteil: Ein solches Zeugnis wäre noch weniger wert als der ohnehin schon weitgehend wertlose Hauptschulabschluss. Deshalb liegt die Vermutung nahe, dass die Bildungspolitiker die Statistik schönen und mit einem simplen Trick zumindest die offizielle Zahl der Schulabbrecher verringern wollen.
Ginge es um die Probleme der Jugendlichen, dann wären ganz andere Schritte notwendig. Dann müssten die deutschen Kultusminister die Sonderschulen weitgehend abschaffen und Schüler mit Behinderungen und Lernstörungen in den normalen Schulen lernen lassen. Bisher geschieht dies nur bei 15 Prozent der Schüler mit sogenanntem sonderpädagogischem Förderbedarf. In der EU sind Integrationsquoten von um die 80 Prozent normal. Und das ist auch der einzig vernünftige Weg. Denn zahlreiche Studien zeigen, dass Schüler auf Sonderschulen nicht mehr lernen als an normalen Schulen, sondern weniger. Es ist vollkommen unverständlich, warum die Kultusminister hieraus immer noch keine sinnvollen Konsequenzen ziehen. Schließlich hat sich Deutschland zur UN-Behindertenrechtskonvention bekannt, und zum Jahreswechsel haben Bundestag und Bundesrat das Übereinkommen ratifiziert. Dort ist die Rede von einer inklusiven Schule. Das heißt: Alle lernen gemeinsam, eine Segregation behinderter Kinder ist zu vermeiden.
Doch von einer schnellen Umsetzung der UN-Konvention hört man vor allem in den unionsregierten Ländern nichts. Stattdessen kommen die Bildungspolitiker mit Vorschlägen eines Sonderabschlusses. Mit Fördern hat das nichts zu tun. Eher schon mit Ins-Abseits-Befördern.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?