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Kommentar Schwimmbad WilhelmsburgAngst vor Veränderung

Gernot Knödler
Kommentar von Gernot Knödler

Wilhelmsburg bekommt ein schickes neues Schwimmbad - und die Leute beklagen sich, dass sie ein halbes Jahr ohne Bad auskommen müssen. Das kann man undankbar finden.

W ilhelmsburg bekommt ein schickes neues Schwimmbad – und die Leute beklagen sich, dass sie ein halbes Jahr ohne Bad auskommen müssen. Das kann man undankbar finden.

Jahrzehntelang war die Klage zu hören, der Stadtteil werde vernachlässigt und als Hafen- und Industrie-Appendix kaum wahrgenommen. Nach spektakulären Gewalttaten und Berichten über Hochhausbewohner, die ihren Müll aus dem Fenster warfen, änderte sich zumindest Letzteres. Dafür hieß es, die Presse stigmatisiere den Stadtteil. Noch vor ein paar Jahren sagten Jugendliche, sie hätten schlechte Chancen auf eine Lehrstelle, bloß weil sie aus Wilhelmsburg kämen.

Senat und Bürgerschaft reagierten: Sie haben Hunderte von Millionen Euro investiert, den Sprung über die Elbe propagiert und Wilhelmsburg zum Labor für eine bessere Zukunft erklärt. Jetzt soll das auch wieder falsch sein, weil Wilhelmsburg ja gentrifiziert werden könnte. Außerdem wird gebaut. Manche stört der Lärm der Laster, andere kriegen feuchte Augen, sobald ein Bäumchen fällt.

In all dem fließt eine Heidenangst vor Veränderung zusammen mit dem Unwillen, auch nur vorübergehende Belastungen zu ertragen. Sollen wir das Bauen einstellen? Lieber alles so lassen wie es ist, weil die 70er so schick und zugleich heimelig waren? Bitte nicht.

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Gernot Knödler
Hamburg-Redakteur
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12 Kommentare

 / 
  • E
    Elbinsulaner

    Nur mal für zwischendurch: Der ach so subjektive AKU wohnt jetzt in der Schanze (!).

     

    Alle anderen, seit Jahren engagierten Bürger fordern seit der Zukunftskonferenz 2001 massive Verbesserungen in allen Bereichen. Und jetzt kommt plötzliche eine "Die Geister, die ich rief"-Stimmung auf, die bei so viel Veränderung auf kleinstem Raum zugegebenermaßen erst einmal verständlich ist. Aber was wollen wir denn? Verbesserung ohne Veränderung? Gratis-Wohnen? Klingt romantisch! Oder mit Marty McFly wieder zurück ins Jahr 2000 (Volkan & Bronx des Nordens)? Yeah, war eine super Zeit!

     

    Klar ist: Es dreht sich nicht immer nur um Mieten - wann lernen das endlich einige "gut gebildete", die sich hier zu Stimmen des Stadtteils machen? Es geht um viel mehr! Schaut doch nach, woher die immer noch negativen Schlagzeilen und Probleme kommen (Chantal, Bildungs-Brandbrief, Tagelöhner, Kokain-Funde, Schimmel-Wohnungen, Familien-Wegzüge etc.)!

     

    Wenn das also keine Probleme sind, dann bitte her mit konstruktiven Vorschlägen. Ist es auf dem Niveau einer Bauverzögerung, dann gute Nacht. Und kommt einfach mal zum Pegelstand am 14. März, anstatt immer nur zu stänkern. Es nervt langsam.

     

    Sehr gespannt und auch anonym:

     

    Ein Insulaner

  • H
    hjm

    Dass in Hamburg die Mieten auf breiter Front steigen ist ja wohl klar. Dass sie in Wilhelmsburg in der Vergangenheit sehr niedrig waren ist ebenfalls offenkundig. Die Frage ist, ob sie in letzter Zeit überdurchschnittlich angezogen haben.

     

    „Kraake“ meint, dazu „wäre eine Recherche … angebracht, bevor man anfängt herumzupolemisieren, Herr Knödler“ und verweist auf eine Untersuchung des AKU (Arbeitskreis Umstrukturierung). Diese besteht aus 3 (in Worten: ***drei***!!!) Fallbeispielen, von denen einer eine Gewerbefläche betrifft. Heilige Einfalt!

  • K
    Kraake

    Sicher mag mancher Protest in Wilhelmsubrg auf den ersten Blick etwas 'überengagiert' scheinen. Dennoch wäre eine Recherche was hinter den Ängsten steckt agebracht, bevor man anfängt herumzupolemisieren, Herr Knödler.

     

    Wenn Leute beispielsweise Mieterhöhungen um 30% innerhalb eines Jahres, was rechtlich nur deshalb möglich ist, weil Mitbewohnerwechsel in WGs von den Vermietern als Neuvermietung ausgelegt werden, oder Gewerbeflächen teurer werden als im Szene-Kiez Schanze, wird eher verständlich, dass sich die Ängste keineswegs an einigen Monaten ohne Schwimmbad entzünden, sondern existenziell sind!

    (vgl. z.B.: http://akuwilhelmsburg.blogsport.eu/mieten-und-wohnen/fette-mieten-keine-party/)

     

    Faktisch führt die derzeitige Verwendung der 'Hunderte von Millionen Euro' von Senat und Bürgerschaft vor Allem dazu, dass sich immer mehr Menschen die in der Stadt arbeiten, das Leben in dieser mehr leisten können. Vor diesem Hintergrund ist es doch schon arg zynisch, dass der Artikel einfach die Annahme übernimmt, die Aufwertungen kämen den einstmals stigmatisierten Wilhelmsburgern zugute, wenn sie abgeschlossen sind, werden andere die Wilhelmsburger sein. Die Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur allein in den lezten 2-3 Jahren sind unübersehbar, wer also vorher abgehängt war, muss zu Recht befürchten, es auch weiterhin zu bleiben.

  • T
    Tina

    Ob dieses Kommentars fehlen einem die Worte. Da wird einem Stadtteil so kräftig hierarchisch von oben eins übergezogen, da gilt als Allheilmittel wieder mal die, schon immer sozial gescheiterte, Vollkommodifizierung eines vernächlässigten Lebendsumfelds, da wird massiv Naherholungsraum und Natur zerstört ohne auf die Vorstellungen der Betroffenen auch nur einnzugehen, da wird Beteiligung geheuchelt bis selbst der größte Zyniker aufgeben muss, weil dafür keine Worte mehr zu finden sind, da wird nichts aber auch rein gar nichts getan um die Mieten in dem Stadtteil so zu erhalten, dass die Menschen die dort leben auch dort bleiben können, da werden Parks gesperrt, Raum gestaltet um ihn kommerziell verwertbar zu machen ... da wird, wie in diesem Kommentar höhnisch alles verkürzt und verbreit um die Angst, Not und Bedrohung der Menschen dort, die sich eine Stimme geben, ins Lächerliche zu ziehen ... das ist unglaubbar niedrig und der Versuch der Erniedrigung ist eine Frechheit die man eigentlich nur von ökonomisch interessierter Seite kennt.

  • GM
    Georg Möller

    Leider fallen Beleidigungen, auch Spontanklassiker, unter den Netttiquetteausschluss, Gernot Knödler. Weil Sie das wissen, schreiben sie dem ins spätbürgerliche emigrierende grünen Milieu auf seinem Weg ins Retro dermassen hinterher, dass es schon dunkel sein muss. Dabei geben Sie sich jovial, spontikritisch und verstellen so den klaren Blick auf unklare Verhältnisse. Wer so schreibt, wer so denkt, kommt über die Hamburgseite der TAZ nur schwer raus, es sei denn die Senatskanzlei hat Bedarf an Schönrednern. Ahnung, die schreiben kann, liest sich anders.

  • Q
    quer-ulantin

    Ach ach, der Herr Redakteur hat es schwer - er ist immer noch nicht Senatspressesprecher, obwohl er sich seit Jahren SO VIEL Mühe gibt!

  • GK
    gernot knüller

    Da schreibt mal wieder ausgerechnet ein TAZ journalist komplett an der realität vorbei... ein schwimmbad im viertel ist ja auch nur für zahlreiche schulkinder wichtig, bäumchen und tierchen ja nur romantischer, rückwärtsgewandter mumpitz und büroräume die kein mensch brauch und ein paar upperclass-wohnungen, da wo keine upperclass hin will, die lösung der wahl gegen massiven wohnraummangel... verschwörungsfreaks könnten sich fragen, ob dieser journalist von der stadt bezahlt wird um ein vermeindlich linksliberales medium mit dem typischen hamburg-gmbh rechtfertigungsgeseier einer neoliberalen stadtverplanung zu infiltrieren...

     

    schön von oberhalb der elbe herab geschrieben. wer so für den ''sprung über die elbe'' schreibt ließe sich doch eher bei springer vermuten. aber mit wilhelmsburg kann mans ja machen, die primitiven unterklassen barbaren werden schon sehen, dass man weiß was das beste für sie ist...

  • R
    Remsch

    Erinnert mich an eine Diskussion im Stadtteil vor Kurzem, wo ein Bürger einen Verwaltungsmenschen interessiert fragte, was denn mit der Verlängerung der U4 Richtung Elbbrücken sei und ob's möglich ist, daß diese auch bis zum Reiherstiegviertel verlängert wird. Bevor der Herr aus der Behörde (oder Bezirk?) antworten konnte, protestierte ein junger, autonom anmutender Mensch lauthals und schimpfte, eine U-Bahn sei nur ein kapitalistisches Instrument, um die Mietpreise weiter anzukurbeln und Menschen zu vertreiben.

     

    Wie später herauskam, handelte es sich nur um einen jungen Studenten aus dem Rheinland, der sich über günstige Mieten freut und nach dem Studium wieder in seine Heimat möchte. Was dann mit den abgehängten Wilhelmsburgern ist, geschenkt. Es beruhigte ihn auch sichtlich, daß selbst mit Planung und Bau eine solche Strecke in diesem Jahrzehnt unrealistisch sei. Da müssen Politik und Verwaltung wirklich mal das Allgemeinwohl im Auge behalten und nicht nur erlebnisorientierten Jugendlichen mit Partikularinteressen, die ein Recht auf Stillstand (auf Kosten anderer) fordern, die Stadtentwicklung überlassen.

  • AW
    "weil Wilhelmsburg ja gentrifiziert werden könnte"

    Ich dreh echt durch: Wilhelmsburg WIRD gentrifiziert, und zwar massiv! Ein Laden in der Veringstraße kostet aktuell 2600,- Netto/kalt, also 16€/qm, kaum mehr eine Wohnung im Reiherstiegviertel unter 10€/qm, Mietsteigerungsraten (sogar laut Mietspiegel) von 35% in vier Jahren. Aber nee, es sind natürlich die abstrakten Veränderungen, die uns sorgen machen...

  • HO
    Hartzvier Oskar

    Hier wird wieder einmal deutlich, dass gegen die anwohner_innen also gegen die menschen die da wohnen gehandelt wird. Es findet keine partzipation (mitbestimmung) statt. Gerade hier, wenn man sich das was die IBA so vorhat mal genauer anschaut, zeigt dass es letztenendes nicht "nur" Wilhelmsburg, sondern hamburg insgesamt betrifft. Und nun auch noch (unten als link dran gehängt) der Kommentar zu diesem thema von Gernot Knödler (taz) . Ich kann ihm nur dringlichts raten, sich mit dem thema IBA genauer auseinanderzusetzen, das hat er aus meiner sicht überhaupt nicht gemacht. Die Bildzeitung hätte es nicht besser schreiben können!

  • N
    Nordlicht

    Kluger Kommentar, erstaunlich. Gilt das, was hier gesagt wird, auch für die Schanze, Eppendorf, Bahrenfeld, Kreuzberg und all die anderen Stadtteile, in denen taz-Leser der ersten Jahre sich gemütlich in ihrem Spät-68er-Traumleben eingerichtet haben ???

  • H
    Hugo

    JA, die Heiden - pardon "Heidenangst". Zum Glück wird der evangelische Kirchentag auch in Wilhelmsburg die IBA mit seinem Missionsauftrag komplettieren. Dann ist bald Schluss mit den vielen Heiden in Wilhelmsburg.