Kommentar Schwan-Kandidatur: Ein Demagoge?
Durch Schwans Kandidatur zur Bundespräsidentin wird Rot-Rot 2009 nicht wahrscheinlicher. Ihre Kritik an Oskar Lafontaine und der "Demagogen"-Vorwurf ist viel zu scharf.
Stefan Reinecke ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz.
Ist Gesine Schwans Kandidatur für das Amt der Bundespräsidentin ein Signal für Rot-Rot-Grün? Diese Lesart liegt nahe, weil Schwan die Stimmen der Linkspartei braucht - doch sie ist zu mechanisch und oberflächlich. Durch Schwans Kandidatur, die übrigens eher vom rechten Flügel der SPD angestoßen wurde, wird Rot-Rot 2009 nicht wahrscheinlicher. Ihre Kandidatur ist - leider - nicht die überfällige, strategische Öffnung zur Linkspartei. Sie kandidiert vielmehr, weil die SPD sie braucht. Mit ihr hat die Partei endlich eine Identifikationsfigur, die weltoffenen Intellekt mit entspanntem Optimismus zu verbinden versteht: zwei Eigenschaften, die in der SPD dramatischen Seltenheitswert besitzen. Schwans Kandidatur ist vor allem ein Signal der SPD an sich selbst: Wir sind noch da.
Gleichzeitig hat Schwan einen komplizierten Parteiauftrag zu erfüllen. Ihr soll gelingen, was die SPD nicht vermag. Die SPD-Spitzen wirken beleidigt aggressiv, wenn sie über die Linkspartei reden. Schwan soll gelassen die Schwächen von Lafontaine und Co bloßlegen - ohne die Linkspartei, deren Stimmen sie ja braucht, rabiat vor den Kopf zu stoßen. Wie schwierig dieser Weg ist, zeigt Schwans Vorwurf, dass Oskar Lafontaine ein "Demagoge" ist und daher "nicht demokratisch" - auch wenn sie pädagogisch einräumt, dass auch bei Lafontaine noch Besserung möglich sei. Dieser Ton ist zu scharf, die Kennzeichnung falsch. Beim Vorwurf Demagoge klingt, auch 70 Jahre danach, assoziativ immer noch Hitler an. Lafontaine aber entspricht nicht dem Typus des finster-attraktiven Volksverführers. Er ist kein antidemokratischer Demagoge, kein Le Pen und kein Haider. Lafontaine mag ein Populist und Polemiker sein. Aber auch Polemik gehört zur Demokratie. Und mit Lafontaine lohnt jener argumentative Streit, den Schwan leuchtend auf ihre Fahnen malt.
Was sich da abzeichnet, ist eine Rollenkonfusion. Schwan will als souveräne Intellektuelle wahrgenommen werden, die leidenschaftlich vernünftig für Demokratie und Diskurs streitet und, selbst schon ein wenig präsidial, über den Niederungen des politischen Betriebs schwebt. Wenn sie nicht aufpasst, endet sie als sozialdemokratische Parteipolitikerin.
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