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Kommentar SchulwahlAussieben ist keine Lösung

Kaija Kutter
Kommentar von Kaija Kutter

Die Anmeldung nach Schulweglänge verhindert soziale Auslese durch die Schulen, löst aber nicht alle Probleme.

F ür einige Eltern stellt die diesjährige Anmelderunde eine besondere Härte dar. Gab es vier Jahre lang im Rahmen des Schulversuchs eine gute Chance, sein Kind an weiter entfernten Reformschulen anzumelden, ist dies nun nur noch möglich, wenn die Kinder vor Ort versorgt und Plätze frei sind.

Die Entscheidung, diese Ausnahmeregel nicht zu verlängern, war richtig. Um es klar zu stellen: Wir reden hier über eine Hand voll Schulen. Nur sie durften die Hälfte der Kinder nach eigenen Kriterien auswählen.

Würde dieses Verfahren in die Fläche übertragen, hätte dies unkalkulierbare Folgen. Die Gefahr ist auf Dauer zu groß, dass sich einige Schulen die Rosinen rauspicken und andere das Nachsehen haben. Und dass manche Kinder nicht mal mehr an der Stadtteilschule nebenan erwünscht sind, weil ihre Leistungen nicht passen.

Und doch hat der Schulsenator ein Grundproblem nicht gelöst. Damit Unterricht an Stadtteilschulen gut funktioniert, ist eine gute Leistungsmischung nötig. Doch eine Lizenz zum Aussieben, wenn auch nur bis Klasse 6, haben nach wie vor nur die Gymnasien, deren Anteil Jahr für Jahr steigt. Hier steckt die Politik in einem Dilemma.

Harte Lösungen, wie eine Verknappung der Gymnasiumsplätze, sind nicht durchsetzbar. Im Idealfall melden Eltern Kinder mit guten Noten lieber an der Stadtteilschule an, weil sie die bessere Pädagogik bieten. Gegen eine solche Wander-Bewegung hat niemand etwas. Man könnte ganz pragmatisch vorgehen und diesen Schulen erlauben, ihre Kapazitäten zu erweitern.

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Kaija Kutter
Redakteurin taz-Hamburg
Jahrgang 1964, seit 1992 Redakteurin der taz am Standort Hamburg für Bildung und Soziales. Schwerpunkte Schulpolitik, Jugendhilfe, Familienpolitik und Alltagsthemen.

3 Kommentare

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  • SS
    Sava Stomp

    Es ist leider verkehrt, wenn die Leute glauben, dass Eltern Schulformen auswählen. Nein Eltern suchen sich bestimmte, nämlich Schulen aus, ob Grundschule, Gymnasium oder Stadtteilschule. Entweder man nimmt Profile ernst oder man lässt es, womit zukünftig auch Fragen der Schulentwicklung den Bach runter gehen werden, weil sie vollkommen entwertet wird. Entweder man nimmt Nachfrage und Elternwillen ernst, indem man versucht an nachgefragten Schulen mehr Plätze zu schaffen und Depandancen zu bilden oder man versorgt auch noch die letzten schläfrigen Schulen mit ausreichenden Schülern und damit erhält Schule keinen Anreiz um sich zu bewegen. Damit ist aber noch nicht das Problem der sozial schwierigen Schulen beseitigt. Aber wenn die Eltern merken, mit welchen Tricks sie dennoch vor bestimmten Schulen fliehen können, werden sie diese Tricks auch anwenden - wie in der Vergangenheit oftmals geschehen. Darum braucht es für diese Schulen andere Lösungen: Schulentwicklung, attraktive pädagogische Konzepte, Kulturprogramme und die Einbindung sozialer Akteure aus dem Stadtteil. Solche Programme ziehen eine gewisse Elternschaft an. Ferner benötigen Eltern eine gewisse Garantie für eine gute Bildung ihrer Kinder. Das ist bestimmt nicht einfach, aber das andere hatten wir schon mal und ist auch gescheitert. In Berlin hat es die Rüttli-Schule nach dem Brandbrief geschafft, warum sollte es in Hamburg nicht auch möglich sein, wo unsere Verhältnisse nicht so ausweglos sind.

  • RL
    R. Licht

    Sehr geehrte Redaktion,

    Kaja Kutter trifft mit der Überschrift ihres Kommentars den Kern der Probleme im gegenwärtigen Schulsystem sehr gut. Leider folgt der Inhalt dann aber nicht konsequent dem Titel.

     

    Es sind ja nicht die Stadtteilschulen, die sich die „Rosinen heraus picken“ wollen sondern in der gymnasialen Bildung ist Auslese das konstituierende Prinzip der Didaktik und Pädagogik. Gymnasien selektieren ihre Schülerinnen und Schüler nach eigen, aus der Kaiserzeit stammenden, demokratisch nicht legitimierten Kriterien.

     

    Sozialdemokraten haben sich schon „unter Wilhelm“ gegen das Auslesebildungssystem gewandt, heutige sozialdemokratische Bildungspolitik müsste die Gegebenheiten nicht nur einfach hinnehmen und verwalten sondern könnte eigene Akzente setzen. Zum Beispiel sollte sie die Gymnasien zu einer eindeutigen Positionierung zwingen. Entweder sind sie die neuen Volksschulen, weil sie mehr als die Hälfte der Kinder annimmt. Dann müsste sich der ganze Betrieb auch entsprechend verhalten und den Unterricht daran anpassen. Oder sie verstehen sich als „Elite“, dann sollten sie aber von vornherein nur so viele Schüler und Schülerinnen aufnehmen, wie sie später auch zum Abitur führen wollen.

     

    Wenn der gegenwärtige Schulsenator zu einer gestaltenden Politik nicht in der Lage ist, dann sollte der Bürgermeister das Heft des Handelns in die Hand nehmen und seinem wunderbaren Satz von den „Stadtteilschulen als Palästen der Bildung“ Taten folgen lassen. Jede, und zwar jede einzelne Stadtteilschule muss so ausgestattet sein, dass sie als sehr gute Alternative zum elitären Gymnasium wahrgenommen werden kann. Dazu braucht es nicht unbedingt mehr Geld, aber Umschichtungen werden notwendig. Diese sind mit einem zielgerichteten Umdenken möglich. Das „gesteuerte Anmeldeverfahren“, dessen Zweck es ist, die negativen Folgen der jetzt vorherrschenden Auslese zu mindern, wäre dann nur noch eine Randnotiz.

     

    Mit freundlichen Grüßen

     

    R. Licht

  • RS
    Robert Schneider

    Die Selektion nach Wohnort ist aber erstrecht keine Lösung. Beispielsweise begräbt Herr Rabe durch sein Vorgehen en passant die bilinguale Erziehung in Hamburg. Ob das so gut ist?