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Kommentar Sandy und der WahlkampfWirbelsturm als Chance

Bernd Pickert
Bernd Pickert
Kommentar von Bernd Pickert und Bernd Pickert

Wenn einer der Kandidaten für das US-Präsidentenamt einen Schub von außen braucht, dann Barack Obama. Er ist auch der Einzige, der von „Sandy“ profitieren kann.

D as gab es so noch nicht: Nur eine Woche vor der Präsidentschaftswahl, nach wochenlanger 24-Stunden-Wahlkampfberichterstattung, kennen die US-Medien kein anderes Thema mehr als Hurrikan „Sandy“, den „Frankenstorm“, den perfekten Sturm, den Monstersturm.

Die Herausforderung für beide Kandidaten ist einfach beschrieben und schwer zu meistern: Sie müssen aus dem Sturm maximalen politischen Profit ziehen, und damit das funktioniert, darf es unter keinen Umständen so aussehen, als würden sie auch nur einen Moment lang eben darüber nachdenken.

Grundsätzlich dürfte das dem Amtsinhaber leichter fallen. Er kann tatsächlich etwas tun, kann Bundesmittel für die betroffenen Gebiete freigeben, neben Mitgefühl auch Entschlossenheit zeigen, er trägt Verantwortung. Und ein ganz kleines bisschen könnte er dabei auch verdeutlichen, warum eine mit Finanzmitteln aus Steuergeldern ausgestattete Bundesregierung doch keine ganz dumme Idee ist, aber das darf er natürlich so nicht sagen. Genauso wenig darf er vom Klimawandel reden – dessen Existenz wird von vielen Republikanern bestritten, und jede Erwähnung würde als Politik ausgelegt. Für Krisenzeiten aber gilt: Ich kenne keine Kandidaten mehr, ich kenne nur noch „Sandy“.

Bild: taz

ist Redakteur im Auslandsressort der taz und derzeit in Washington.

Bei allen Vermutungen, ob der Sturm den Wahlausgang überhaupt beeinflussen kann und, wenn ja, in welcher Richtung: Eigentlich ist Obama der Einzige, der davon profitieren kann. Er kann als Präsident handeln, Mitgefühl und hemdsärmelige Aktivität zeigen, während der Herausforderer eigentlich nur im Weg stehen kann und seine Anklagen angesichts der Katastrophe plötzlich unzeitgemäß klingen. Damit wird Romney zwar umzugehen wissen. Er wird Mitgefühl und Solidarität zeigen und jede Kritik an Obama ein paar Tage lang einstellen oder zumindest im Ton herunterfahren, damit ihm der Sturm zumindest nicht schadet. Aber: Obama kann gewinnen, Romney kann bestenfalls nicht verlieren.

Seit der ersten Fernsehdebatte zwischen Obama und Romney ist Obama in der Defensive, seither hat Romney in allen wichtigen Umfragen stets zugelegt, der Wahlkampf ist so eng geworden, wie es noch vor vier Wochen niemand geglaubt hätte, und mehr Geld für den Endspurt hat Romney auch. Wenn jemand derzeit einen Schub von außen braucht, dann Obama. „Sandy“ ist seine Chance.

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Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
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4 Kommentare

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  • VH
    Volker hört die Signale

    @Zwischenlux:

    Das zeigt, dass sie das Wahlsystem der USA nicht verstanden haben.

     

    Selbst wenn in New York nur ein einziger Wähler ins Wahlbüro geht und für Obama wählt, gehen alle Wahlmänner New Yorks an Obama.

     

    Wenn also die New Yorker nicht zur Wahl gehen, werden trotzdem diejenigen, die zur Wahl gehen, mehrheitlich für Obama wählen und es ändert sich nichts, als die Zahl der Wähler selbst. Höchstens am sogenannten "popular vote" könnte sich etwas ändern, in dem Romney jetzt schon vorn liegt - aber nach dem kräht kein Hahn.

     

     

    Im Grunde ist es scheissegal, was in rund 45 der 50 Staaten passiert und wer dort wählen geht - die andere Seite hat sie längst abgeschrieben und dort wird nicht wahlgekämpft; und die Wähler wissen das genau so wie die Wahlkämpfer, was sich letzten Endes auch auf die Wahlbeteiligung auswirkt. Die Präsidentschaftswahlen drehen sich einzig und allein um die "Swing States", im Besonderen Florida und Ohio. Aufgrund des "the winner takes it all"-Prinzips in fast allen Staaten könnte im Rest des Landes auch je nur ein einziger Bürger wählen gehen und es machte keinerlei Unterschied.

  • Z
    Zwischenlux

    ... wenn "Sandy" sich positiv auf Stimmen für die Demokraten auswirken soll, müssen eben jene erstmal wählen können. Die Ostküste ist traditionell demokratisches Wählerreservoir. Gauben Sie, die Leute haben nicht ernsthaft andere Sorgen, wenn die U-Bahnschächte überflutet und ganze Stadtteile ohne Strom sind (Brooklyn), als sich zu einem Wahllokal durchzukämpfen? An der Ostküste sind die Städte mit der dichtesten Besiedelung. Wenn in den nächsten 5 Tagen nicht einigermaßen wieder Normalität hergestellt wird, geht dort die Wahlbeteiligung enorm zurück. Bin mal gespannt, wann die ersten U-Bahnen in Manhattan wieder fahren können .... Derzeit stehen sie unter Wasser, ist das Wasser weg, bleibt der Schlamm.

  • I
    ion

    Und jetzt bitte noch eine Zeilen honorierte, haarsträubende Verschwörungstheorie à la:

    Obamas’ Oma hat auf ihrer Yacht in der Caribbian Sea einen Sack SAND umgekippt, damit Hurrican Sandy entsteht, um Obama bei der Wahl zu helfen.

    L O L !

    Pick..., pick..., Pickert, auch ein blindes Huhn findet mal ein-en Korn!

  • VH
    Volker hört die Signale

    Moment, moment moment!

     

    Glauben Sie, Herr Pickert, diejenigen Hardcorefundamentalistenspinner, die tief in der Fox-Bubble stecken, sind für Obama noch zu erreichen, wenn er bloß nichts von Klimawandel sagt?

    Da könnten sie auch behaupten, die NPD könnte den Grünen Stimmen abwerben, wenn sie nur nicht von "Überfremdung" redet...

     

    Hinzu kommt, dass in solchen Fällen gerade unter jenen Spinnern immer wieder solche auftauchen, die meinen, Katrina sei die Strafe Gottes für das lasterhafte New Orleans gewesen und Sandy nun die Strafe für, tja, für was? Die Wallstreet? Obamacare? Obama selbst? Diesen sozialistischen Muslim, der Amerika aus dem Weissen Haus heraus vernichten will und der nicht einmal in den USA geboren wurde, sondern ein ganz gewöhnlicher Wald-und-Wiesen-Nigger aus Afrika ist, ganz gleich, was seine Geburtsurkunde sagt?

     

    Die Fundamentalisten igeln sich nur noch mehr in ihrer wirklichkeitsfernen Bubble ein, die waren pro Romney (solange sie nicht zu jenen 20-30% gehören, die ihre Stimme niemals einem Ungläubigen geben würden - einem Schwarzen aber genau so wenig) und bleiben pro Romney. Ich bezweifle, dass eine signifikante Anzahl von potenziellen Wechselwählern tatsächlich den Klimawandel für Spinnerei halten - eine Aussage hierzu könnte als politisch gewertet werden, schaden würde es ihm aber sicher nicht.

     

    Wie dem auch sei, in gut einer Woche ist der Spuk vorbei und die WASPs haben einen neuen Präsidenten, einen, der besser zu ihnen passt. Keinen Protestanten zwar, aber immerhin ein weißer Angelsachse, ein Mann sowieso, einer der Oberschicht, zu der sich jeder Weiße, der gerade so mit seinen drei Jobs die Hypotheken für das Haus bezahlen kann, zählt - zumindest aber zur Mittelschicht, auf dem Weg nach oben. Und während die Männer mit den weißen Kapuzen auf Fox Noise erklären, dass die USA endlich ihren Rassismus überwunden haben, weil es mal nen schwarzen Präsidenten gab, wird fleißig daran gearbeitet, dass so etwas so schnell nicht wieder passiert, schon gar nicht so eine dumme Situation, dass man den schwarzen Teufel nur mit einem Sektenheini aus Utah austreiben kann. Aber immerhin ist es keine Frau...

     

    Da sag noch einer, strukturelle Gewalt funktioniere nicht.