Kommentar SPD-Putsch: Auch Steinmeier wird verlieren
Münte wird die Herzen der geschrumpften SPD-Mitgliederschar wärmen. Und Steinmeier? Er wird 2009 einen ordentlichen Verlierer abgeben.
Was für eine shakespearehafte Wende in dem Stück, das die SPD-Führung gestern am Schwielowsee bei Potsdam aufführte. Das Publikum war einstimmig der Meinung gewesen, die Inszenierung laufe auf das erwartbare Ende, die Nominierung Frank-Walter Steinmeiers als Kanzlerkandidat, hinaus.
Dann, gegen Ende, der Doppelknaller: Erst der Rücktritt des Vorsitzenden Kurt Beck, gefolgt von der Ankündigung, dass Franz Müntefering, sein Vorvorgänger im Amt, ihn beerben werde. Da sage noch einer, die SPD sei nur in der Lage, abgeschmackte Gesellschaftskomödien aufzuführen! Und nun ein Macht- und Intrigenspiel nach dem Vorbild des großen Schurkenstücks von Bad Münstereifel anno 1974, das Willy Brandt zum Rücktritt zwang.
Auguren hatten dieses überraschende Ende schon geahnt, als Beck den Sitzungssaal der SPD-Oberen durch die Hintertür betrat. Der Vorsitzende, so ist jetzt zu hören, konnte es nicht verwinden, dass er als Hindernis auf dem Weg Steinmeiers zur Kanzlerkandidatur porträtiert wurde. Und dies angeblich von Steinmeier selbst, der es plötzlich eilig mit seiner Nominierung hatte. Für Beck war dies der schlechtestmögliche Abgang, für Steinmeier der schechtestmögliche Beginn seiner Kandidatur.
Steinmeier/Müntefering - man könnte meinen, es fehlt nur noch Clement und der große Zampano, dann wäre die Crew der Agenda 2010 wieder an Bord. Aber so wird es nicht kommen. Nach vorne schauen heißt jetzt die SPD-Devise, nicht nochmals die Schlachten von gestern schlagen. Zwar am Grundsatz der Agenda festhalten, aber eine frische Brise Soziales und Bildung beimischen.
Münte wird die Herzen der geschrumpften SPD-Mitgliederschar wärmen. Und Steinmeier? Er war der Strippenzieher bei Hartz IV und der Nebelkerzenwerfer, als es im Fall des Guantánamo-Häftlings Murat Kurnaz um Hilfsdienste für den US-Geheimdienst ging. Aber jetzt gibt der Machtmensch im Hintergrund sich leutselig und als guter Zuhörer. Er zehrt vom "überparteilichen" Renommee des Außenministers, von der Sehnsucht vieler Menschen nach einer Autoritätsperson mit voller weißer Haarpracht.
Er wird 2009 einen ordentlichen Verlierer abgeben.
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