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Kommentar S-Bahn-ChaosDiese Bahn macht einfach krank

Kommentar von Rolf Lautenschläger

Traurig, aber wahr: Dieses Unternehmen ist ein Schlamperladen hoch drei, der zahlende Kundschaft offenbar verachtet.

CO2-frei, kein Spaß dabei: Fahrgäste verlassen am Donnerstag zu Fuß eine liegen gebliebene S-Bahn am Alexanderplatz. Bild: dpa

S turmreif schießen" nannte man in kriegerischen Zeiten das, was die Berliner S-Bahn heute betreibt. Dabei richten sich die Attacken nicht gegen die Konkurrenz - im Visier hat das Unternehmen die eigene Kundschaft. Am Donnerstag ging auf den Trassen bekanntlich nichts mehr. Nach der schweren Panne fielen am Samstag erneut fünf Linien aus. Am Sonntag standen wieder Züge still, als sich plötzlich die halbe Belegschaft krankmeldete. Zufall? Wohl kaum.

Ein "Kalter Streik"?

Nach der schweren Panne vom Donnerstag war die Berliner S-Bahn auch am Wochenende noch weit von Normalität im Fahrplan entfernt. Am Samstag fielen Züge auf fünf Linien aus, am Sonntag waren noch zwei Linien - die Nord-Süd-Bahn S25 und die S47 Richtung Südosten - betroffen, wie die S-Bahn informierte. Mehrere Fahrer seien kurzfristig erkrankt, hieß es von der Bahn zur Begründung. Derzeit seien von rund 1000 Fahrern 90 krankgemeldet, sagte ein Sprecher. Der Krankenstand sei bereits vor den kurzfristigen Krankmeldungen zum Wochenende hoch gewesen. "Der Personalplan war ohnehin schon so eng gestrickt, dass sich das System nicht mehr halten lässt. Wir haben keine Reserven mehr. Die Schmerzgrenze ist erreicht." Der Schichtplan sei aber trotzdem erstmal besetzt, so dass der Verkehr von Montag an wieder normal laufen solle - "es sei denn, es wird nachts wieder einer krank." Spekulationen über einen "kalten Streik" der Belegschaft wies der Bahnsprecher zurück. "Dazu gibt es keinen Grund - auch wenn es für alle momentan sehr anstrengend ist - die Mannschaft zieht weiterhin an einem Strang."

Ob die Fahrer die Arbeit virenbedingt oder aus Scham oder Protest gegen das eigene Unternehmen einstellten, sei dahingestellt. Die Strategie dagegen scheint: Die Transporteure aus dem Haus der Deutschen Bahn AG setzen ihren Fahrgästen jetzt schon so zu, dass diese später bei Eis und Schnee froh sind, nicht auch noch selbst die Schienen freischippen zu müssen. Darüber hinaus erwartet man dann von der S-Bahn nichts mehr.

Dass das nervende Bahn-Desaster längt das Vertrauen der Berliner in die S-Bahn zerstört hat, ist nichts Neues. Das einstmals glorreiche Verkehrssystem der Reichsbahn liegt am Boden. Selbst zu Holzklasse- und DDR-Zeiten funktionierte das Symbol metropolitaner Mobilität verlässlicher als derzeit. Sicher, eine Weiche kann immer mal ausfallen, eine Sicherung durchbrennen oder die Tür klemmen. Aber wenn ein hochtechnisiertes Transportsystem seinen Geist aufgibt, ist das die Konsequenz jahrelanger Unterlassungen durch das Bahn-Management - aber auch durch die Berliner Verkehrspolitik.

Die S-Bahn ist zum permanenten Sündenfall avanciert. Darum sollten der neue Verkehrssenator Michael Müller und sein Staatssekretär Christian Gaebler (beide SPD) jetzt nicht zu laut aufheulen. Ihre Partei hat schließlich beim anschwellenden Schienenchaos zehn Jahre lang mitgespielt.

Richtig wütend macht, dass Bahn-Chef Rüdiger Grube genauso wenig wie sein Vorgänger Hartmut Mehdorn Veränderungsbedarf in der Ausstattung sieht - und schon gar nicht bei der Unternehmenskultur. Auf den Schienen fährt (besser: steht) ein Schlamperladen hoch drei, der zahlende Kundschaft offenbar verachtet. Wer Fahrgäste in Tunneln und Bahnhöfen sitzen lässt, nicht informiert, Wagenheizungen abdreht, die Fürsorgepflicht verweigert, Ersatzverkehr nicht auf die Reihe bekommt, keine Reserven hat, Mitarbeiter krank macht und so weiter und so weiter, der schießt, wie gesagt, seine Kunden sturmreif. Dass der Schuss nach hinten losgehen wird, beruhigt nicht. Die Fahrgäste trifft er trotzdem.

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Redakteur taz.Berlin
Rolf Lautenschläger hat Kunstgeschichte und Germanistik studiert. Als Autor und seit 1993 als Redakteur der taz kümmert er sich intensiv und leidenschaftlich um die Themen Stadtplanung und Architektur alias Abriss und Aufbau.

9 Kommentare

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  • J
    jammerlappen2

    @ tageslicht

     

    ich fahre jeden Tag und bei jeder Gelegenheit mit der S-Bahn/BVG, da das Preis/Leistungsverhältnis unschlagbar ist etwa im Vergleich zu den...

     

    Kosten eines Neuwagens

    + Reparaturen

    + Versicherungen

    + KfZ-Steuern

    + Benzin

    + Straßenbaulast

    + Verkehrsüberwachungskosten

    + Unfallopferkosten

     

    Es ist nicht gerade leicht, bei einem so großen Schienennetz alle technischen Einrichtungen jederzeit funktionsfähig zu halten.

     

    Außerdem fährt die S-Bahn fast immer pünktlich und man ist schnell am Ziel. Fahren Sie doch mal mit der Metro in Moskau oder der Subway in New York. Sie werden sich nie wieder über die S-Bahn in Berlin beschweren :-)

  • F
    frank

    na ja, interessant wäre ja mal eine rechnung, wie das budget einer funtionierenden s-bahn aussehen würde. so ganz klar wird hier immer noch nicht, woran das eigentlich liegt. schlecht geführt oder unterfinanziert oder beides?

    und wenn dann klar ist, wieviel geld in die hand genommen wird, wer finanziert dann eigentlich? die nutzer der s-bahn oder wieder mal "der staat", also auch die nichtnutzer und darüber hinaus (länderfinanzausgleich) noch die halbe republik.

    Kann mir durchaus vorstellen, dass dann einige sagen werden "ich zahle nicht für eure s-bahn".

     

    ist ja gerade in zu meckern und zu fordern.

    jeder, der sich über den s-bahn service aufregt, soll bitte sagen, wieviel er für besseren service zu zahlen bereit ist

  • R
    Robert

    Die Bahn ist und bleibt ein grandioses Unternehmen mit einer gewaltigen und komplizierten Vergangenheit und einer zwangsläufig gloriosen und widersprüchlichen Zukunft. Diese kleingeistige Nörgelei ist schon lange nicht mehr zu tolerieren.

     

    Täglich fahren tausende Züge über wahrscheinlich einige hunderttausend Kilometer mehrere tausend Haltestellen an. Im wesentlichen unfallfrei. Fast immer klimatisiert, fast immer sehr sauber, fast immer hinnehmbar pünktlich, wirklich fast immer sehr höflich. Bei so manchem Fahrgast dürfte das eigene Wohnzimmer unwesentlich bequemer eingerichtet sein als ein Bahnabteil. Von den Pflichten, die ein FahrGAST eigentlich hat, wäre auch mal zu reden.

     

    Einen sehr großen Teil des ewigen Bahnärgers haben die sogenannten FahrGÄSTE zu verantworten. Voran die ca. 1000 Suizide pro Jahr (also täglich ca. 2,5)mit den jedesmal enormen Folgen für die betroffenen anderen Züge. Es dürften wohl jedesmal mehrere hundert Züge betroffen sein. Von den psychischen Folgen für die betroffenen Lokführer und das andere Personal ganz zu schweigen. Dann wäre in einem ausführlichen taz-Artikel mal die Frage zu klären, wer eigentlich die Wagen und die Bahnhöfe permanent verdreckt und beschädigt. Dürfte interessant werden. Weiterhin wäre der Frage nachzugehen, was Autofahrer bewegt über geschlossene Bahnübergänge zu fahren. Und es wäre, aber nun wird es wirklich kritisch, mal zu klären, was die Gründe für die hochneurotischen Vollversorgungsperfektionsforderungen an die Bahn sind, die sowieso niemals erfüllbar sind. Auch diese Antwort dürfte sehr interessant und unangenehm werden. Es ist schlichtweg Wahnsinn minutengenaue Pünktlichkeit zu fordern. Nach 40 oder 600 km. Allerdings ist es eben auch weltfremd, diese zu versprechen. Das ist schon auch wahr.

     

    Na, und so weiter und so fort.

     

    Der dm-Chef Prof. Götz Werner sprach mal davon, daß eine Firma ein soziales Kunstwerk sein sollte. Mehdorn und viele andere und leider eben auch viele Angestellte und auch die meisten Fahrgäste der Bahn haben das nicht oder konnten es bisher nicht vestehen.

     

    Als Bahnchef würde ich mir vielleicht mal die JournalistInnen vornehmen. Täglich all die tausend Rechtschreibfehler ankreuzen und publik machen und öffentlich kritisieren. Die anderen Fehler natürlich ebenso. Die taz und nicht nur die weiß, daß es "lustig" werden würde. Täglich 30 Fehler. Oder sind es doch 59? Schließlich erwarte ich doch für mein Geld auch hundertprozentige Fehlerfreiheit. Oder will da jemand widersprechen?

     

    Und Herr Lautenschläger, wenn Sie von "Selbst zu Holzklasse- und DDR-Zeiten funktionierte das Symbol metropolitaner Mobilität verlässlicher als derzeit." schreiben, dann haben Sie schlichtweg NIEMALS in der DDR in einem Zug gesessen. Mein persönlicher Rekord liegt bei ca. 5 Stunden von Halle nach Leipzig. 40 km - nachts. Die Oberleitung war runtergefallen. Keine Information, keine Decken, kein Tee, kein Taxigeld, keine Rückerstattung. Sie wissen schlichtweg nicht, wovon Sie hier schreiben. Entschuldigung.

     

    Die Bahn, das sind nicht die Anderen. Die Bahn, das sind immer AUCH die Fahrgäste mit ihren Wünschen, ihren Forderungen und ihrem Verhalten! Der Fremde, das Böse, das zu Verurteilende uswusf. ist niemals nur das Andere. Aber diese Bemerkung führt nun wirklich zu weit.

     

    Gute Reise noch.....

  • T
    tageslicht

    @jammerlappen

     

    Moment mal. Also schon aus Ihrer Formulierung schließe ich mal, dass Sie nicht wirklich Erfahrung mit dem ÖPNV in Berlin haben und jetzt als "Auswärtiger" hier kommentieren.

     

    Üblicherweise? Was ist denn üblicherweise? Ist es noch "üblicherweise", wenn man nur noch eine Chance von 60% hat, dass dies der Fall ist? Und noch mal: Halt. Kunden, die sich ein Ticket kaufen oder eine Monatskarte, die haben dafür eine Dienstleistung erworben. Die Dienstleistung besteht im Transport mit den Zügen der BVG und S-Bahn. Wenn die S-Bahnen reihenweise ausfallen, dann ist diese Dienstleistung nicht erfüllt. Stellen Sie sich vor, Sie gehen zum Friseur, bezahlen VORHER, und bekommen dann gesagt, es wären gerade keine Scheren da (Ähnlich absurd wie die Zustände bei der S-Bahn) und müssten gehen, freilich, ohne Ihr Geld zurückzubekommen. Schließlich könnten Sie Ihre Haare auch selbst schneiden (Eine Analogie zu Ihrer Fußgehen-Äußerung). Fänden Sie das gut? Nein? Dann denken Sie doch beim nächsten mal ein bisschen nach, bevor Sie solchen Unsinn schreiben.

     

    Viele Grüße.

  • E
    eryngium

    wer den ehemaligen ÖPNV der DDR kennenlernen "durfte" ist wirklich leidgeprüft ... dachte ich ...

    aber die letzten Jahre mit der Berliner S-Bahn stellen wirklich alles in den Schatten ... was für ein Armutszeugnis ...

  • J
    jammerlappen

    die leute von der sbahn tun ihr bestes, und wenn ihr den ganzen tag nur rumnölen könnt, wie kleine kinder, die nichts im supermarkt gekauft bekommen, offenbart ihr nur eure eigene eingebildetheit. wem es nicht gefällt, üblicherweise in 20 minuten durch die ganze stadt zu fahren, der soll halt (kostenlos) laufen.

  • NP
    Neumann, Peter

    Gute Gedanken, lesenswerter Artikel.

    Die S-Bahn hat tatsächich viele krank gemacht. S-Bahner die zu Hause sind weil Sie Burnout Syndrom haben, Mitarbeiter die die Wut der Kunden zu spüren bekommen und , und und...

     

    Bedenken sollte man aber auch, dass der Berliner Senat es war der in den 90ziger Jahren die Bahn unter Druck setzte und immerfort betonte: IHR SEID ZU TEUER !!!!

    Daraufhin entstand ein riesiger Kostendruck der zum Abbau von mehreren hunderten Arbeitsplätzen führte.

    Das ganze System S-Bahn wurde auf 40 Grad heruntergefahren.

     

    Jetzt ist eine Situation entstanden wo neue Strukturen aufgebaut werden müssen.

     

    Mit einer Neuausschreibung ist es auch nicht getan. Gefordert wird ja vom VBB Franz eine noch billigere Bahn. Was soll denn das werden....

     

     

    Übrigens...es wird nicht die letzte Überraschung sein....

  • M
    martigar

    Was tun?

  • C
    caro

    der kommentar geht noch gar nicht weit genug! heute früh als geschenk an die treuen kund_innen gleich mal wieder eine signalstörung?! dieser scheißladen hat doch jetzt schon seinen chaos-rekord vom letzten winter eingestellt - und das alles ohne schnee und eis!