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Kommentar: Rot-Grün vergurktWie blöd ist das denn?

Gereon Asmuth
Kommentar von Gereon Asmuth

Linke Parteien pflegen die Tradition, dass sie dann, wenn es drauf ankommt, zusammen raufen, statt sich zusammenzuraufen.

Längere Gesichter sind kaum vorstellbar: Die grüne Delegation nach dem Verhandlungscrash. Bild: dpa

V ollkommene Politikunfähigkeit. Gibt es einen anderen Begriff für das, was Sozialdemokraten und Grüne am Mittwoch abgeliefert haben? Es gibt. Hornochsenkacke! Selbstverliebter Egozentrikermist! Riesenblamage! Totalversagen! Betonkopfpolitik auf allen Seiten! Oder kurz gesagt: Ja, gehts noch?

Nein, es geht offensichtlich nicht mehr. Nicht mit dieser SPD. Und nicht mit diesen Grünen.

Dreimal haben die Spitzen der beiden Parteien sondiert. Dreimal haben sie über Formelkompromissen gebrütet, dreimal haben sie diese anschließend interpretiert, ergänzt - und schließlich torpediert.

Das ist nicht mal schlimm. Im Gegenteil. Der lebendige und mit aller Vehemenz ausgetragene Streit über das entscheidende Detail ist vielmehr Ausdruck eines neuen Politikstils, der der Stadt nach zuletzt doch sehr schläfrigen rot-roten Zeiten gutgetan hätte. Ein Stil, der unweigerlich nicht zum bloßen "Weiter so!" geführt hätte, das landauf, landab das Handeln der Politik prägt - ganz egal von welcher Partei sie gerade getragen wird.

Genau deshalb war es auch richtig - und richtig wichtig -, dass die Grünen auf ihrem Nein zum Autobahnbau beharrt haben. Hätten sie die A 100 abgenickt, wäre eine Koalition mit der SPD zwar ein Kinderspiel gewesen, aber der Ruf der Partei als Einknickertruppe wäre genauso zementiert wie die Betonpiste durch Neukölln. Genauso wichtig aber war, dass die SPD nicht ohne Weiteres auf die Autobahn verzichtet hat. Schließlich hatte sie starke Argumente dafür, so wie die Grünen dagegen.

Trotz dieses schier unüberbrückbaren Gegensatzes waren beide auf einem guten Weg. Zusammen. Sie lagen nach hartem Kampf allenfalls noch um ein paar Meter Beton auseinander. So hätten sie zeigen können, wie zeitgemäße Politik funktioniert. Die das Argument in den Vordergrund stellt. Die den Streit goutiert, auch wenn er von außen zäh wirkt. Die sich immer wieder bei ihrer jeweiligen Basis rückversichert - und zur Not zu Nachverhandlungen antritt.

Hätte. Hätte. Hätte.

Hat aber nicht.

Denn dummerweise pflegen linke Parteien von jeher die Tradition, dass sie immer dann, wenn es besonders drauf ankommt, zusammen raufen, statt sich zusammenzuraufen. Idiotischerweise halten sie diese Tradition auch noch hoch, wenn sie längst in der Mitte angekommen sind. Fatalerweise glauben sie dann stets, dass ein Kompromiss wegen inhaltlicher Differenzen inakzeptabel sei. Obwohl offensichtlich ist, dass sie nur an den Egos der Protagonisten gescheitert ist, die sich nicht über den Weg trauen, weil sie sich nicht riechen können.

Aber wenn es mit dem Spitzenpersonal nicht klappt, ist es dann nicht ein Signal dafür, dass man von einer solchen Koalition die Finger lassen sollte? So kann man das sehen. Andererseits könnten SPD und Grüne auch die Versager an ihren Spitzen austauschen. So umstürzlerisch aber sind nicht mal mehr linke Parteien.

Immerhin bekommt Berlin nun eine bunte Opposition aus Linken, Grünen und Piraten, die den rot-schwarzen Senat antreiben kann. Die Feindbilder stimmen wieder. Ein schwacher Trost für alle, die auf progressive Regierungspolitik gehofft hatten.

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Gereon Asmuth
Ressortleiter taz-Regie
Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters
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18 Kommentare

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  • R
    Rosa

    Dein Kommentar hat mir super gefallen, Gereon !

  • H
    Hilde

    EIN LOB DEN GRÜNEN

    Nick Reimer, Chefredakteur von klimaretter.info, über die Reaktionen auf das Aus der rot-grünen Koalitionsverhandlungen in Berlin.

     

    http://www.klimaretter.info/meinungen/kommentare/9605-ein-lob-den-gruenen

     

    Am Tag danach waren sich die Kommentatoren ziemlich einig: Drei Kilometer Autobahn sind es einfach nicht wert, ein politisches Projekt wie Rot-Grün in der Haupstadt aufzugeben. Ja, gehts noch? fragt die taz: Die künftige rot-grünen Landesregierung lag doch eigentlich nur noch ein paar Meter Beton auseinander. Die Berliner Zeitung stimmte gar ein Loblied auf den faulen Kompromiss an: "Koalitionen leben vom Kompromiss. Manchmal sogar vom faulen Kompromiss. Der ist nichts Schlechtes, sondern notwendig."

     

    Dabei verkennen die Leitartikler, dass es bei der Autobahn A 100 gar nicht um drei Kilometer Schnellstraße ging. Dahinter steht vielmehr die grundsätzliche Frage des "Weiter so" oder "Es geht nicht weiter, wenn es so weiter geht". Anders ausgedrückt: Der Bau der Autobahn zementiert ein Mobilitätsverständnis, dass aus dem Gestern kommt und erkennbar nicht das von Morgen sein kann. Sowohl das Klima- als auch das Ressorcen-Problem sprechen klar dagegen.

     

    Kann man aber mit einer Partei, die gestrige Konzepte befördert, ambitioniert Zukunft gestalten? Kann man nicht: Wer bei einer so simplen Frage wie drei - ohnehin nicht finanzierbaren - Autobahnkilometer an der Zukunftsanalyse scheiter, wird es bei der Schulden-, Bildungs- oder Integrationspolitik auch nicht zu progressiven Politik-Ansätzen schaffen.

     

    Insofern war gut und richtig, dass die Grünen Stand gehalten haben mit ihrem Nein: Nach dem Menetekel vom Kohlekraftwerk Hamburg-Morburg, nach den fossilen Geschäften des grünen Sonntagsredners Boris Palmer, nach dem grünen Zaudern beim Eon-Schwarzbau in Datteln: Ein weiteres Versprechen-und-dagegen-Handeln hätte die Bündnisgrünen endgültig zu jener opportunistischen Truppe werden lassen, die sie einst im Gewand der SPD oder CDU so heftig bekämpften. Glückwunsch, ihr Berliner: Das Projekt mit der Sonnenblume ist ja doch noch nicht tot!

  • O
    Observer

    Die A 100 wäre doch nur der Anfang gewesen. Dahinter versteckt sich doch schon "so wenig Nachtflugverbot wie möglich", denn Sozen wie CDU glauben doch, dass nur Wachstum uns erlaubt, aus den Problemen herauszuwachsen. Deshalb lassen sie ja trotz aller Nebelkerzen die Finanzmärkte und Banken auch schalten und walten.

     

    Als Berliner bleibt einem nur die Hoffnung, dass die CDU ihre starke Verhandlungsposition dazu nutzt, um die Sozen vor sich her zu treiben und dafür zu sorgen, dass deren Schulreformen entweder sofortig ausfinanziert oder zu Grabe getragen werden.

  • N
    Nick

    bei einer halbwegs seriösen Zeitung möchte ich in den Kommentaren oder Artikeln keine Idioten-Phrasen wie "wie blöd ist das denn" oder "Gehts noch?" lesen.

    Könnten Sie bitte Ihr Niveau ein bisschen anheben.

  • F
    fhainer

    Wenn es denn stimmt, was man über den gestrigen Tag so liest, dann ist dieses Versagen, insbesondere der Grünen ein dermaßen grandioses, dass einem nahezu die Worte fehlen.

    Mit der Verschiebung des Autobahnthemas auf 2014 hatten die Grünen schon gewonnen und die Verlängerung faktisch beerdigt. Diesen Sieg noch aus der Hand zu geben, aus Angst davor, dass man, weil er Einigen nicht offensichtlich genug gewesen wäre, sich vorübergehend ein paar Schmähungen hätte anhören müssen...

    Die Eitelkeit unbedingt nicht erst lang-, sondern auch kurzfristig schon als Sieger gesehen werden zu wollen, hat über alle politischen Abwägungen triumphiert. Nicht nur hinsichtlich Berlin, sondern auch dem bundesweiten Signal. Und einer möglichen Mehrheit im Bundesrat gegen schwarz-gelb.

    Die taz allerdings sollte sich auch selbst befragen, wie sehr sie diese Angst und dieses Selbstbild der einzig wahren Aufrechten mitgeschürt hat. Auch dieser Kommentar kommt nicht ohne das Bild von der genügsamen Linken aus. Aber vielleicht ist ja eine Stärke auf den symbolischen Effekt verzichten zu können, um längerfristig in der Sache Erfolg zu haben? Nur, wenn diese medial nicht als solche wahrgenommen, sondern als Schwäche abgetan wird, dann wird sich daran wohl kaum jemand dauerhaft orientieren können.

    Damit soll aber weder der Sturkopf Wowereit, noch das amateurhafte Verhalten der grünen VerhandlerInnen entschuldigt werden.

  • R
    Rolle

    Man braucht schon ein sehr gepflegtes linkes Weltbild, um diese grüne Infrastruktur-Verhinderungspartei noch als "progressiv" zu empfinden. Fortschrittlichkeit liegt im Parteienspektrum an ganz anderen Stellen.

  • E
    Ebs

    Der Wowereit ist mit seiner zur Schau gestellten Lässigkeit halt einfach auch nur ein schlichter Opportunist.

    Echte Ideale sind bei der einstmaligen Arbeiterpartei wohl mittlerweile Mangelware.

    Es stimmt schon, dass die SPD und die CDU inzwischen mehr vereint als trennt, und sie somit folgerichtig immer häufiger Koalitionen bilden, als konturlose Funktionsparteien.

     

    Basisdemokratische Debattenkultur? Wie, in der SPD? Hahaha, der war gut..

  • T
    Tom

    Farbenblindheit bei den Grünen und Wowie der Trickser hat das gewußt!

  • B
    überrascht

    Puuh....der verkehrs-und sicherheitspolitische Supergau in Berlin ist erst mal abgewendet!!

     

    Und ein bißchen weniger Granate Künast in der berliner Medienwelt ist ja auch nicht schlecht.

  • E
    elwiegaldo

    @Peter Maas

     

    Na die Grünen und die SPD sinds jedenfalls nicht... nach HartzIV, Kriegseinsätze und dem Öffnen der deutschen Märkte für Hedgefonds...

  • C
    Christine

    Die Grünen, diese Bildungsbürgerwohlstandspartei - links looooooooooooooool

  • O
    ogge

    Liebe Frau Künast gehen sie doch mal in ein Kinderzimmer und versuchen einem 6 jährigen Jungen die autobahn wegzunehmen, das gibt Ärger:-)

  • MM
    Michael Müller

    Herzlichen Glückwunsch zum CDU-Parteibuch, Herr Asmuth. Was für ein unsinniger Text.

  • PM
    Peter Maas

    @hansi

     

    "ähm, seit wann sind denn grüne und die spd linke parteien?"

     

    ähm, was verstehst du denn unter links?

  • JC
    Johnny Cynic

    Lieber Gereon,

    nenne mir bitte EINE EINZIGE linke Partei mit Regierungsverantwortung auf Bundes- oder Länderebene!

     

    Schweigen?

     

    q.e.d.

  • B
    Blödmann

    Merkwürdig auch, dass beide Parteien (zumindest auf Bundesebene) sich nach ihren Programmen und Positionspapieren für Direkte Demokratie, Volksabstimmungen etc. einsetzen - doch jetzt, wo es die Sache gerettet hätte plötzlich kein Thema mehr ist. Mag sein, dass die Berliner dann tatsächlich die A100 herbeigestimmt hätten. Aber das hätten sie dann immerhin so gewollt. Und besser als rotschwarz (inklusive A100) wäre das allemal.

  • H
    hansi

    ähm, seit wann sind denn grüne und die spd linke parteien?

  • EA
    Enzo Aduro

    Dann bald fertig:

     

    Der Autobahn Abschnitt "Die-grünen-sind-nicht-Eingeknickt" mit einer Renate Künast Anschlussstelle und einer Volker Ratzmann ausfahrt.

     

    Bravo.

     

    Dann viel Spaß beim Rotwein.

     

    Und beim Schleswig-Holstein Wahlkampf: Wichtigstes, nein einziges Wahlkampfthema: Feste Fehmanbeltquerung.

     

    Ergebnis: Grüne brechen Wahlversprechen oder halten es - in der Opposition.