Kommentar Rio+20: Gipfel der Ernüchterung
Die Megatreffen konnten die Wachstumsgläubigkeit nicht unterlaufen. Immerhin machen sie sichtbar, dass keine Nation auf einem guten Weg ist .
Z wanzig Jahre nach dem ersten Erdgipfel von 1992 trifft sich die Weltgemeinschaft in dieser Woche erneut in Rio de Janeiro. Diskutiert werden soll unter anderem über Wege in eine grünere und ressourceneffiziente Wirtschaft.
Angesichts des Klimawandels, knapper werdender Ressourcen und Ernährungskrisen ein trefflich gewähltes Thema – aber es wird wohl kaum zu einer globalen Verständigung kommen. Statt sich auf eine gemeinsame Politik zu verständigen, welche die Grenzen des Planeten ernst nimmt, ist die „grüne Ökonomie“ zum Kampfthema der Konferenz geworden.
In Rio prallen die massiven Interessen einer Welt im Umbruch aufeinander, Gegensätze zwischen den Industriestaaten der OECD-Welt und der G 77+, dem Club der Schwellen- und Entwicklungsländer.
Brasilien, China und Indien stehen für die gewaltige ökonomische Aufholjagd in den vergangenen zwanzig Jahren. Ihre Wirtschaften wachsen angetrieben von fossiler Energie und der Ausnutzung von Rohstoffen. Sie orientieren sich an den Produktions- und Konsumsystemen des Nordens. Und ihre Regierungen tun alles, um politische Grenzziehungen für den Ressourcenverbrauch oder Emissionen aller Art zu vermeiden. Grüne Ökonomie wird als Hemmnis für Wachstum und Entwicklung gebrandmarkt.
ist seit 2002 Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung. 1992 hat sie beim Erdgipfel von Rio die deutschen Umwelt- und Entwicklungsorganisationen koordiniert.
Lagerkampf in Endlosschleife
Die Mehrheit der Industrieländer hat ihrerseits kaum etwas vorzuweisen, was den 1992 in Rio abgegebenen Versprechen entspricht – keine Abrüstung beim Konsum und bei der kohlenstoff- und ressourcenintensiven Produktion. Der Ausstoß von Emissionen und der Verbrauch von Ressourcen wurde in den reichen Staaten in absoluten Zahlen nie gedrosselt.
Politisch steht die Welt vor einem Dilemma: Der Wirtschafts- und Finanzkrise soll mit mehr Wachstum begegnet werden. Auch zur Armutsüberwindung wird in klassischen Wachstums- und Entwicklungskategorien gedacht. Der Klimawandel und die wachsende Ressourcenknappheit verlangen aber nach globaler Begrenzung, nach Entschleunigung und Schrumpfung.
Eine wirklich konstruktive Verständigung darüber, welcher Entwicklungspfad aus der globalen Mehrfachkrise führen soll, findet so gut wie gar nicht statt. Dabei brauchen wir dringend Antworten im internationalen Rahmen. Die Welt kann sich die Politikverdrossenheit, welche die folgenlosen großen UN-Gipfel auslösen, nicht mehr leisten. Dabei schaffen gerade sie Möglichkeit für globalen Ausgleich: Es sind die armen und ärmsten Länder, die im Rahmen der Vereinten Nationen immer noch am besten ihre Interessen artikulieren können.
Grüne Ökonomie?
Alle Regierungen haben, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, Verantwortung für den Klimawandel und den sorgsamen Umgang mit knappen Ressourcen; sie müssen in ihren jeweiligen Ländern für Verteilungsgerechtigkeit und Armutsbekämpfung sorgen. Den Weg dafür sollten Konzepte für eine Grüne Ökonomie weisen. Was genau darunter zu verstehen sein soll, ist allerdings so umstritten wie seinerzeit der Schlüsselbegriff der ersten Rio-Konferenz: die nachhaltige Entwicklung.
Und so existieren heute verschiedene Handlungsansätze nebeneinander: Die Vereinten Nationen setzen auf ein grünes Investitionsprogramm, nach dem 2 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung, das sind rund 1,3 Billionen US-Dollar, jährlich in ökologischere und effizientere Produktion fließen sollen. Damit soll den Entwicklungsländern grüne Wirtschaft schmackhaft gemacht werden – die Investitionen würden sich ökonomisch und sozial lohnen. Die OECD hingegen betont die ökonomischen Chancen eines umweltverträglichen Wachstums, das vor allem eines soll: die knapper werdenden Ressourcen effizienter einsetzen.
Alle Konzepte erkennen den Klimawandel und die weltweite Ressourcenknappheit an, plädieren für ein Umsteuern. Das ist eine gute Botschaft. Aber: Sie findet international zu wenig Gehör. Außerdem wird immer noch das Loblied auf Innovation und Effizienz angestimmt. Effizienz braucht Technologien, sicher. Aber welche, und wem sollen sie gehören? Wer profitiert von ihnen, wer kontrolliert sie?
Konsum ist nicht globalisierbar
Das Mantra der Win-win-Optionen, nach denen von einem ökologischen Umsteuern der Ökonomie alle etwas haben, verkennt, dass es auch beim grünen Wirtschaften soziale Folgen und Verteilungsaspekte zu bedenken gibt. Spätestens seit der politisch geförderte Anbau von Agro-Treibstoffen mit der Produktion von Nahrungsmitteln konkurriert, wissen wir, dass eine knappe Ressource nicht ohne soziale und ökologische Folgen durch eine andere Ressource ersetzt werden kann.
Wind- oder Fotovoltaik-Anlagen vertreiben Menschen und entwurzeln sie. Erneuerbare Energien verlieren an Akzeptanz in der Bevölkerung. Millionen Menschen erfahren täglich, dass das nördliche Produktions- und Konsummodell nicht globalisierbar ist. Die von Politik und Märkten erzeugten Finanz-, Klima- und Ernährungskrisen erschüttern die Welt.
Die planetarischen Grenzen ernst zu nehmen, das wäre das politische Gebot der Stunde. Eine absolute Deckelung des CO2-Ausstoßes weltweit um minus 90 Prozent bis 2050, der Stopp der Entwaldung und Bodenzerstörung, ein besserer Schutz der Biodiversität und noch intakter Ökosysteme – dafür würde sich ein Weltgipfel wirklich lohnen.
In Rio geht es um nichts Geringeres als die notwendigen Schritte für eine kohlenstoffarme, ressourceneffiziente und gerechte Welt. Der Weg dorthin kann nur über soziale und ökologische Gerechtigkeit führten. Armutsbekämpfung und Menschenrechte müssen zur Maxime aller politischen und wirtschaftlichen Akteure werden. Denn nicht jedes Ziel heiligt die Mittel, auch nicht im Namen der Emissionsminderung. Grüne Ökonomie braucht Prüfungen der Sozial- und Technologieverträglichkeit, mehr demokratische Teilhabe und Partizipation.
Ein Traum, der in der brasilianischen Metropole noch nicht Realität werden wird. Und trotzdem kann der Rio+20-Gipfel einen Beitrag leisten – in dem er die weltweite Aufmerksamkeit auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts lenkt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour