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Kommentar Revolution in LibyenLibyen brennt, Europa versagt

Reiner Wandler
Kommentar von Reiner Wandler

Die EU bietet im Fall Libyen ein groteskes Schauspiel. Sie überlässt dem italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi das Wort, der das brutale Vorgehen nicht verurteilt.

D ie EU bietet angesichts der Lage in Libyen ein groteskes Schauspiel. Sie überlässt dem italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi das Wort. Er werde das Vorgehen der libyschen Regierung gegen die Proteste nicht verurteilen, lässt der Medienzar verlauten. Ungestört schürt er Ängste, die Stichworte kommen von seinem guten Freund, dem libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi sowie dessen Sohn. Dieser droht damit, die Grenzen zu öffnen, wenn die EU sich gegen ihn stelle.

Nur zögerlich werden in der Union andere Stimmen laut. Sanktionen wird es keine geben. Dabei handelt es sich bei Gaddafis Repression gegen die Proteste längst nicht mehr um herkömmliche Menschenrechtsverletzungen. Die wenigen Bilder und Berichte, die aus dem isolierten Land kommen, zeigen eine Reaktion des Regimes, die nur noch mit dem Begriff Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschrieben werden kann. Dennoch scheint der EU der Schutz der Südgrenze und die Erdölversorgung, die Gaddafi verspricht, wichtiger als die gepriesenen demokratischen Prinzipien.

Bereits vergangenen Woche, als rund 5.000 Menschen aus Tunesien über das Mittelmeer nach Lampedusa kamen, durften Berlusconi und seine rechtslastigen Innen- und Außenminister unwidersprochen ihre demagogische Propaganda verbreiten. Italien befürchte 80.000 Flüchtlinge aus dem Land, das vor fünf Wochen Diktator Ben Ali stürzte und damit die Welle der Proteste in der arabischen Welt auslöste. Terrorkommandos würden sich daruntermischen. Tunesien stünde kurz vor dem Zusammenbruch.

Bild: taz

REINER WANDLER ist Spanien-Korrespondent der taz.

Anstatt Berlusconi, der mit diesem Katastrophenszenario versucht, von seinem Prozess wegen sexueller Kontakte zu Minderjährigen abzulenken, in die Schranken zu weisen, griffen in der restlichen EU - auch in Deutschland - Politiker das Thema Tunesien auf, als kämen die Boote auf dem Alexanderplatz in Berlin an. Die Menschen auf der anderen Seite des Mittelmeeres suchen nach Freiheit und Demokratie. Und Europa lässt sie im Stich.

Nach Tunesien, Ägypten und Libyen wird nichts mehr sein, wie es war. Die EU hat nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie tritt mit den südlichen Nachbarn auf Augenhöhe in einen Dialog - eine echte Mittelmeerpartnerschaft -, oder sie riskiert, dass die junge Generation gänzlich mit uns bricht. Die Zeit zum Umdenken ist eigentlich schon abgelaufen.

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Reiner Wandler
Auslandskorrespondent Spanien
Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.
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7 Kommentare

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  • T
    Thomas

    Der Kommentar hat die Situation in Nordafrika treffend auf den Punkt gebracht: "Die EU hat nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie tritt mit den südlichen Nachbarn auf Augenhöhe in einen Dialog - eine echte Mittelmeerpartnerschaft -, oder sie riskiert, dass die junge Generation gänzlich mit uns bricht"

    Hier bestätigt sich der alte Spruch, dass in jeder Krise auch eine Chance steckt; die Aussichten stehen jedoch leider schlecht, dass die EU sich hier klar positioniert und somit diese vielleicht historische Chance ungenutzt lässt

  • VS
    Volker Stegmann

    Als der Erfolg der Revolution in Tunesien abzusehen war, wurde ich in Palermo von einem meiner tunesischen Freunde darauf angesprochen. Er war voller Stolz auf sein Volk, erinnerte an die Wende in Ostdeutschland, die Demokratiebewegung und den Zusammenbruch der kommunistischen Diktaturen in Osteuropa. Jetzt wuerde sein Land ein Beispiel geben fuer einen demokratischen Umbruch in der arabischen Welt, meinte er zuversichtlich, und ich als Deutscher wurde das sicherlich begruessen. "Ich schon", meinte ich, aber ich haette meine Schwierigkeiten damit, in deutschem Namen zu sprechen... und dann erklaerte ich ihm, was der derzeit amtierende deutsche Aussenminister zum Thema Stabilitaet von sich gegeben hat. Sie haetten diesen fassungslosen Blick meines Freundes sehen sollen - und ich habe mich geschaemt fuer mein Land.

  • PP
    Peter Petronius

    "...dass die junge Generation gänzlich mit uns bricht."

    Man sollte sich nicht allzu viel Illusionen machen, viel ist da ohnehin nicht mehr zu brechen.

    Nachdem der EU-Mittelmeerdialog nach Hunderten von Millionen Euro weitestgehend gescheitert ist, mobislisieren wir gerade die neuesten Hilfsprogramme. Mietzsche sagte einmal, dass helfen und lehren zu schnell in herrschen umschlagen. Dafür haben die Nehmerländer ein feines Gespür.

  • H
    hto

    "Dieser droht damit, die Grenzen zu öffnen, wenn die EU sich gegen ihn stelle."

     

    - diese Drohung hatte ich schon mal gehört, als eine Mauer noch "Gut und Böse" trennte.

     

    Die Toten in Libyen gehen mal wieder ganz klar auf unser Konto, von dem wir sonst mit "Entwicklungshilfe" steuern!?

  • SH
    Sarah Hoh

    Danke für den Kommentar,

     

    endlich beschreibt mal jemand, dass die deutsche Politik völlig überzogen reagiert! Die Medien beschreiben Fluten, volle Boote, Überfüllung... usw. genauso wurde das in den 90ern gehandhabt. Eine inakzeptable Metaphorik, die dem rechten Rand der Bevölkerung Zündstoff bietet.

     

    Leute werdet wach, Deutschland soll und muss Asylsuchende aufnehmen... die Menschen, die kommen haben einen Grund und sie haben die politische Lage geschweigedenn die Armut ihrer Herkunftsländer nicht verschuldet!

  • DL
    Dani Levi

    Na wenn die Zeit schon abgelaufen ist, dann ist der Kommentar auch ueberfluessig.

    Grausam schlecht dieses rumgehobele.

    Hier geht eine ganze Kultur auf die Barrikaden, die Menschen muessen Ihren eigenen Weg finden. Das letzte was Sie brauchen sind Presseerklaerungen von Links oder Rechts aus Europa.

  • JR
    Josef Riga

    Was soll Europa denn, bitteschön, ihrer geschätzten Meinung nach tun? Es kann die Länder des Maghreb nicht von heute auf morgen in die Moderne katapultieren. Und Hunderttausende oder besser Millionen Araber in Deutschland aufnehmen? Ich persönlich wäre ja dafür, aber das ist eine Minderheitsposition, die sich nicht durchsetzen lässt. Warum ich dafür bin? Weil 100 Millionen Deutsche in Europa mehr bewirken können als 80., deshalb wäre ich dafür. die Araber könnten auch dafür sorgen, dass Europa endlich zusammen wächst. Denn es gibt sie in Bari genauso wie in Berlin, Paris oder Barcelona. Und das Palästina-Problem wäre auch bald gelöst.