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Kommentar RentenversicherungspflichtArme Ich-AGs

Eva Völpel
Kommentar von Eva Völpel

Selbstständigen mit geringen Einkommen geht es mit der Rentenversicherungspflicht an den Kragen. Die Lösung wären gestaffelte Vorsorge-Beiträge.

A ls die Hartz-IV-Gesetze verabschiedet wurden, stimmte die damalige rot-grüne Bundesregierung das Hohelied der Ich-AG an. Jeder sollte sein eigener Unternehmer werden, Selbstständigkeit, vor allem Solo-Selbstständigkeit, wurde vom Arbeitsamt massiv gefördert.

Die Zeiten sind vorbei. So hat die schwarz-gelbe Bundesregierung nicht nur den Rechtsanspruch von Arbeitslosen auf einen Gründungszuschuss für die Selbstständigkeit abgeschafft. Jetzt geht es auch den Ein-Mann-und-Frau-Betrieben an den Kragen.

Das Bundesarbeitsministerium (BMAS) plant, dass Selbstständige künftig einer Rentenversicherungspflicht unterliegen. 260 Euro monatliche Beiträge sollen pauschal pro Person fällig werden. Damit aber steht die Existenz von vielleicht einer Million Selbstständiger vor dem Aus, die derzeit weniger als 1.100 Euro Netto im Monat verdienen.

Bild: taz
Eva Völpel

ist Inlandsredakteurin der taz.

Man kann die Pflichtversicherung trotzdem gut finden. Warum soll es Geschäftsmodelle geben, bei denen Steuerzahler später die Grundsicherung für altersarme Selbstständige finanzieren? Aber dann wäre es auch höchste Zeit, die Steuerzahler von der Subventionierung der Arbeitgeber zu befreien, die so niedrige Löhne zahlen, dass ihre Angestellten Hartz IV beziehen. Auf diesen Vorstoß wartet man vergeblich. Auch auf Antworten, wo die gut bezahlten, rentensicheren Alternativ-Jobs für arbeitslose Freelancer warten.

Vielleicht aber zeigt der Unmut der Selbstständigen ja Wirkung und das BMAS denkt über einkommensabhängig gestaffelte Beiträge zur Altersvorsorge nach. Denn warum ein Selbstständiger, der von der Hand in den Mund lebt, das Gleiche in die Altersvorsorge einzahlen soll wie solche mit Einkünften von mehreren tausend Euro, erschließt sich nicht.

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Eva Völpel
Inlandsredakteurin
Jahrgang 1976. Ist seit 2009 bei der taz und schreibt über Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sowie die Gewerkschaften
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9 Kommentare

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  • G
    Gerne

    Die hier vorschlagen "sich dann doch lieber einen Job zu suchen" sollen mal sagen wo, bei 6-8 Mio Arbeitslosen, wenn man die ganzen unfreiwillig selbständigen und nichtbeschäftigten mitzählt, 10-15 Mio, wenn man noch die mitzählt, die von ihrer Arbeit nicht genug private Altersvorsorge betreiben können.

    Völlig weltfremd der Vorschlag.

  • MS
    Martin Sch aus HA

    ...können dann Kleinunternehmer in Zukunft auch mit Hilfe der Arbeitsagenturen/JobCenter "aufstocken" lassen, damit sie "leben" können?

    Was für eine Politik!?!

  • N
    Never

    Das wird nicht funktionieren, Frau v.d.L und Frau M.!

    Die Regierung sollte froh sein, dass millionen Bürger sich selbst knechten und aushungern, um als Scheinselbstständige (z.B. Kurierfahrer) dem Jobcenter fernzubleiben.

    Rente einzahlen ist dabei nicht möglich. Das Geld dazu fehlt.

    Sollten die Damen diesen skrupellosen Versuch wirklich starten, gibt es m.M.n. ein Echo mit Donnerhall, wie es die BRD noch nicht erlebt hat.

  • M
    mike

    ich fasse es nicht, wenn ich das hier lese, warum um Gottes Namen sollte ich mich selbstständig machen wenn ich mit meinem Einsatz nicht mehr hab?

     

    Wenn hier berichtet wird das man nur 500,00 € im Monat überbehält dann sollte einem der gesunde Menschenverstand sagen, sorry das war eine blöde Idee, ich such mir was anders.

     

    Als ich mich selbstständig gemacht hab ich gerechnet was ich brauche, da ist ein Stundenstatz X rausgekommen, unter dem kann ich nicht Kostendeckend arbeiten und das mach ich auch nicht.

     

    Betriebswirtschaftliches Grundsatzwissen sollte vorhanden sein.

     

    ich brauche Betrag x (KK, RV, Versicherungen, Leben)

    ich habe Auslastung geschätzt 50% (sehr konservativ)

    jeweils jährlich...

     

     

    = (x/(12/2)) / 160h = Stundesatz

     

    gibt der Markt das her?

     

    Ja super mach

     

    Nein dann anderen Job suchen.

     

    Wer das nicht vorher macht hat über kurz oder lang ein Problem. Die neue Zwangsabage wird dann einfach zugerecht und der Stundensatz erhöht, wenns daran scheitert, anderen Job suchen.

  • F
    Fridolin

    Ist der Selbständige in einem künstlerischen oder publizistischen Beruf, wird er über die Künstlersozialkasse (KSK) pflichtversichert udn erhält einen quasi-Arbeitnehmerstatus, weil der Arbeitgeberanteil der Versicherungsbeiträge von Verwertern eingesammelt wird (Radio, TV, Plattenfirmen, Theater, Verlage...),

    nebst einem staatlichen Zuschuß. Hier beginnt der ordentliche Versichertenstatus schon bei 3900 € Jahreseinkommen, mit entsprechend niedrigen Beiträgen. Warum gelten diese Maßstäbe nicht auch für nicht-KSK-Berufe? Warum müssen Selbständige, gerade in der Anfangsphase, 260 € stemmen, egal wiwenig sie verdienen, oder gleich ein Mindesteinkommen von 1800 € vorweisen?

  • T
    Tondern

    Warum schließen sich die Leute nicht zu Genossenschaften zusammen? Diese könnten dann, je nach monatlichem Einkommen den Lohn abrechnen und dementsprechend, manchmal fast NIX an Sozialabgaben abführen und den Rest Netto überweisen.

     

    Aber die Zeit ist wohl noch nicht reif dafür.....

  • G
    Guido

    Ich spare als Selbständiger derzeit 500 EUR pro Monat für das Alter (Fonds, ETFs und ein Rürupvertrag).

     

    Kommt die Regelung, dass monatlich 260 EUR in die Altersversorgung fließen müssen, dann werde ich zukünftig wohl mindestens 600-700 EUR sparen müssen. Denn der Staat wird das flexible Sparen in Form von Fond- und ETF-Sparplänen nicht anerkennen. Man wird dann zwangsweise entweder in höchstregulierte Produkte mit maximalem Bürokratieaufwand (analog Riester) oder oder die staatliche Rentenversicherung zwangsinvestieren müssen. Da diese Produkte inflationsbereinigt langfristig mit hoher Wahrscheinlichkeit eine negative Rendite haben werden, wird es unter dem Strich viel teurer für mich, auch wenn ich eigentlich weit mehr spare, als zukünftig fortgeschrieben.

     

    Immer wieder schön, wenn der Staat einen bevormundet und einem Entscheidungen aus der Hand nimmt.

  • W
    wauz

    Den Nebel vertreiben!

     

    Die Sozialabgaben bei abhängig Beschäftigten sind nicht wirklich Abgaben, sondern genau genommen Lohn, der kollektiv ausgezahlt wird. Damit wird ein Anteil es Arbeitsergebnisses in die Reproduktion der Arbeitskraft gesteckt. Was nur sinnvoll ist, auch wenn das gleichzeitig ein gigantisches Wirtschaftsförderungsprogramm für die Gesundheits- und Pharmabranche ist.

    Die echten Abgaben, Steuern nämlich, werden natürlich auch aus dem Arbeitsergebnis bezahlt.

    Wenn man also das Gesamtbrutto nimmt und dann noch bedenkt, dass beim Kapitaleigner auch noch etwas hängen bleibt, sieht man, was so ein normaler "Arbeitnhemer" alles erarbeitet.

    Da sehen die Mikro-Selbstständigen dagegen arg alt aus, aus welchen Gründen auch immer. Ökonomisch ist das eine irre Verschwendung von Arbeitskraft.

    Wer also mit Kleingewerbe oder freiberuflich noch nicht einmal seinen Lebensunterhalt samt Renten- und Krankenversicherung erarbeiten kann, sollte sich dringend einen Job suchen.

    So manche Dienstleistung wird dann teurer werden. Und das ist auch gut so...

  • Z
    Zorngott

    1100 Euro netto, ein Traum für viele (Schein)selbständige. In guten Monaten kam ich auf 1500 brutto, minus Krankenversicherung waren das noch knapp 1200. Ich hatte in manchen Monaten nur 500 Euro verdient, Schulden bei der KV, weil ich die Beiträge nicht zahlen konnte, jetzt kämen noch Schulden bei der Rentenversicherung hinzu.

     

    Die Politik, insbesondere Uschi von der Leyen, sind völlig weltfremd, was sich schon an den horrenden Krankenversicherungsbeiträgen zeigt. Hier wird von einem Mindesteinkommen von um die 1800 Euro ausgegangen, es gibt noch einen Geringverdienertarif, von dem man aber nur bei Nachfrage erfährt, der orientiert sich an einem Mindesteinkommen von um die 1200 Euro, für viele eine illusorische Summe. Nicht weniger (Schein)selbständige arbeiten für 5 oder 6 Euro die Stunde in Callcenter, bzw. lassen sich dort ausbeuten, weil sie keine Lust auf Hartz IV haben. Kommt die Rentenversicherung, bleibt nichts außer Hartz IV. Die Jobcenter tun sich sehr schwer mit Selbständigen, da diese kein regelmäßiges Einkommen haben. Es müssen für jeden Monat neue Berechnungen vorgenommen werden, die die schlecht ausgebildeteten Fallmanager überfordern. Es ist ein ewiges, allmonatliches Gerenne zum Amt. Zeit, in der man nicht arbeiten kann.