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Kommentar ReligionsunterrichtIn dubio Pro Reli

Kommentar von Robin Mishra

In Berlin streitet die Bürgerinitiative Pro Reli für einen regulären Religionsunterricht. Er soll als gleichberechtigte Alternative zum Pflichtfach "Ethik" angeboten werden.

Mein Religionslehrer in der Mittelstufe hieß Herr Sommer, schnell tauften wir ihn in Dr. Sommer um. So wie den Psycho-Berater, der in der Bravo Tipps zu Beziehungs- und Sexproblemen gab, füllte auch unser Dr. Sommer mit diesen Themen ganze Doppelstunden. Ist Sex vor der Ehe erlaubt? Was hat die katholische Kirche gegen Verhütungsmittel? So lernten wir im Religionsunterricht den Coitus interruptus kennen und wurden auch über andere Verhütungsmethoden samt ihren Vorteilen und Risiken ins Bild gesetzt.

So viel zur Behauptung, der konfessionelle Religionsunterricht sei "rückständig". Dahinter steht die Befürchtung, Religion als Lehrfach sei mit der Zwangsmissionierung unschuldiger Kinder mit Feuer und Schwert gleichzusetzen. Doch Schülerinnen und Schüler der Klassen 7 bis 10 sind ein anspruchsvolles Publikum. Sie lassen sich nicht mit Rosenkränzen und Katechismusformeln abspeisen, schon gar nicht zu irgendeinem Glauben zwingen. Sie könnten aber sehr wohl ein Interesse daran haben, etwas von diesem Jesus Christus zu erfahren, in dessen Kirchen noch immer zwei von drei Deutschen organisiert sind.

Eine Mehrheit des Berliner Abgeordnetenhauses verteidigt dagegen einen konfessionsungebundenen Ethikunterricht. Jeder Schüler könne sich ja weiterhin für das Schulfach Religion entscheiden, heißt es dazu. Die Wirklichkeit in den Schulen sieht anders aus. Ethik ist Wahlpflichtfach, Religion freiwillig, fällt also angesichts dicht gedrängter Stundenpläne schnell unter den Tisch. Die Zahl der Schüler im evangelischen Religionsunterricht ging in den letzten zwei Jahren denn auch um 6.000 zurück.

Ziel der Initiative Pro Reli ist es dagegen nicht, den Ethik- durch Religionsunterricht zu verdrängen. Sollte ihr Volksentscheid Erfolg haben, dann würde es im Paragraf 13 des Berliner Schulgesetzes künftig heißen: "Alle Schülerinnen und Schüler nehmen entweder am Religions- oder am Ethikunterricht teil. Dabei soll zwischen den Fächern kooperiert werden. Einzelne Unterrichtseinheiten können gemeinsam durchgeführt werden." Wenn das Fach Ethik so zukunftsweisend sein soll, wie seine Befürworter meinen: Warum halten sie dann an ihrem Privileg fest, statt auf Augenhöhe mit dem Religionsunterricht in einen Wettstreit um die besseren Inhalte zu treten?

Die Befürworter des Ethikunterrichts weisen auf dessen "integrative Wirkung" hin. Integrieren lassen sich aber nur Standpunkte. In einer von Religionen und Konfessionen geprägten Welt ist eine aus Kant, Karl Marx, Dalai Lama und Jesus Christus zusammengebraute Ethik ein reines Gedankenkonstrukt. Deshalb müssen die Unterrichtsinhalte viel subjektiver ausfallen, als es die Vermittlung einer einzelnen Religion jemals sein könnte. Kurzum: Wer in unserem Kulturkreis lebt und nichts von Jesus Christus weiß, hat zwar jedes Recht dazu, er kann aber nicht sinnvoll den Dialog mit den Anhängern des Propheten Mohammed suchen.

Die gemeinsamen Wurzeln der abrahamitischen Religionen bieten den besten Halt für den interreligiösen Dialog zwischen Christen und Muslimen. Gerade erst hat die Islamkonferenz der Bundesregierung den Anstoß für einen Islamunterricht durch in Deutschland ausgebildete Lehrer gegeben. Wenn sie konsequent sein wollen, müssten Befürworter des Ethikunterrichts dieses Angebot wieder zurückziehen. Doch vom Fach Ethik lassen sich überzeugte Muslime sicher ebenso wenig aus ihren Hinterhofmoscheen locken wie vom evangelischen oder katholischen Religionsunterricht. Besonders bizarr mutet es an, das Christentum in dem Moment aus den Klassenzimmern zu verdrängen, da Muslime vor einem Berliner Verwaltungsgericht das Recht auf einen eigenen Gebetsraum in ihrer Schule erstritten haben.

Der Versuch von Berliner SPD und Linkspartei, die Religion aus den Schulen zu verdrängen, mutet an wie ein Kulturkampf gegen einen imaginären Gegner. Der Kampf gegen eine Religion, die ihre Gebote an die Stelle staatlicher Gesetze setzt, ist - jedenfalls was das Christentum angeht - seit dem Siegeszug der Aufklärung gewonnen. Eine politisch längst nicht mehr dominante Bewegung aber aus ihrer gesellschaftlichen Verankerung reißen zu wollen, trägt selbstzerstörerische Züge. Unsere Demokratie beruht auf Voraussetzungen, die sie selbst nicht schaffen kann. Ein Land, in dem die Bindungskräfte schwinden, braucht umso dringender Organisationen, die auf Zusammenhalt aus sind. Kirchliche Kitas und Altenheime, Krankenhäuser und Hilfswerke sind weit über religiöse Kreise hinaus geachtet und anerkannt.

Sicher, die christlichen Kirchen haben historische Schuld auf sich geladen. Auch heute sind sie nicht frei von Skandalen. Nicht alles, was der Papst sagt, erfreut das Publikum - übrigens auch manch gläubige Katholiken nicht. Aber wie Johannes Paul II. ist auch Benedikt XVI. eine der letzten moralischen Autoritäten auf diesem Planeten. Gemeinsam haben die christlichen Kirchen für ein humaneres Zuwanderungsgesetz gekämpft und besonders den Innenpolitikern der C-Parteien Zugeständnisse abgetrotzt. Aus der evangelischen Kirche kam der Anstoß zur friedlichen Revolution in der DDR. Und kaum eine Institution hat so deutlich ihre Stimme gegen den Irakkrieg erhoben wie die katholische Kirche. In einer Zeit massiver Wirtschaftsinteressen und ungehemmter Kapitalflüsse halten die christlichen Konfessionen den Gedanken hoch, dass viel Geld und ungehemmter Konsum nicht alles sind im Leben.

Die Initiative Pro Ethik weist gern darauf hin, dass der konfessionelle Religionsunterricht nicht in eine säkulare Stadt wie Berlin passe. Abgesehen davon, dass die Säkularismusthese zumindest für die hier lebenden Muslime nicht gilt: Das Argument ist ein Zirkelschluss. Genauso gut könnte man daraus ableiten, die noch vorhandenen religiösen Wurzeln zu pflegen. Es darf auch nicht ganz außen vor bleiben, dass im Osten der Stadt Religion bis zur Wende unterdrückt wurde. Aus diesen Grundrechtsverletzungen eine Westausdehnung humanistischer Lebensanschauung zu legitimieren ist zumindest gewagt.

Bleibt der Einwand, dass Pro Reli doch wieder nur ein Wahlkampftrick der doofen Hauptstadt-CDU ist. Es greift aber zu kurz, den Streit nur als Parteiengezänk zu betrachten. In der SPD schütteln so manche wie Wolfgang Thierse oder Richard Schröder den Kopf über die Rambo-Strategie des Berliner Bürgermeisters Klaus Wowereit, und auch so manche Grüne unterstützen Pro Reli. Das Thema ist zu wichtig, um es allein der örtlichen CDU in Berlin zu überlassen.

Menschen, die religiös-musikalisch sind, mögen im Religionsunterricht in ihrem Glauben an ihren Gott bestärkt werden, der ihr Leben begleitet. Aber auch für überzeugte Gegner des Christentums bilden Grundkenntnisse in Religion geradezu die Basis für ihre Weltanschauung. Man sollte den Gott schon kennen, den man bekämpft.

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10 Kommentare

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  • HS
    Hartmut Slomski

    Und was soll der ganze Quatsch? Alle Religionen sind dummes Zeug! Religion ist Volksverblödung! Wie sagt doch Richard Dawkins so zutreffend: Wenn ein Mensch unter einer Wahnvorstellung leidetr, dann nennt man es Geisteskrankheit. Wenn viele Menschen unter gleicher Wahnvorstellung leiden, dann nennt5 man es Religion.

  • AH
    Andreas Hitzel

    Die Taz macht Fortschritte! Mein Lob, Herr Mishra! Ein wahrhaft fairer, ausgewogener und offener Artikel. Weiter so!

     

    P.S.: Insbesondere die Atheisten, die die christlichen Konfessionen als Sekten "beschimpfen", sollten sich einmal selbstkritisch mit ihrem eigenen Dogmatismus und Urteilsvermögen auseinandersetzen.

  • R
    Robert

    Ein guter Artikel und eine wichtige Stimme. Die Reaktion spiegelt wider, was hier in Berlin in Bezug auf Religionsunterricht seit vielen Jahren praktiziert wird und deshalb wie wichtig dieser Unterricht gerade für diese Stadt ist: Aufklärung.

  • RG
    Robert Groenewold

    "Wer in unserem Kulturkreis lebt und nichts von Jesus Christus weiß, hat zwar jedes Recht dazu, er kann aber nicht sinnvoll den Dialog mit den Anhängern des Propheten Mohammed suchen."

     

    Das sind gleich mehrere Denkfehler: 1.) Wohl kaum jemand in "unserem"(?) Kulturkreis weiss wirkich *nichts* von Jesus (im Sinne von "Jesus? Habe ich noch nie gehört.". 2.) Selbstverständlich sollte in der Schule *auch* etwas sowohl über Jesus als auch über Mohammed (ebenso über Moses und Buddha, eventuell sogar über Zarathustra, Konfuzius und Lao-Tse) vermittelt werden, einfach, weil es Teil der Allgemeinbildung ist. Das hat doch aber mit Religionsunterricht, der ja explizit als eine Unterweisung *in* der jeweiligen Religion verstanden wird, nichts zu tun. Besser wäre ein Fach in der Art "Allgemeine Religions- und Kulturkunde", wo ganz neutral Schülern aller Konfessionen Wissen über alle Religionen vermittelt wird, und auch auf Argumente von Atheisten und Agnostikern eingegangen wird.

    3.) Aber selbst wenn Punkt 1.) tatsächlich einmal zutreffen sollte: Warum sollte es denn nötig sein, von Jesus zu wissen, um mit "Anhängern des Propheten Mohammed" in Dialog zu treten? Wichtig ist doch, dass man die Idee der Menschenrechte als Ausgangspunkt für die gleichzeitige Garantie aber auch Begrenzung der Religionsfreiheit kennt. Ausserdem: Warum sollten sich nicht auch die "Anhänger des Propheten" Mohammed auf Säkularisten oder Atheisten einstellen, wenn sie nun einmal in einer mehrheitlich solchen Gesellschaft leben?

     

    Die Idee der Abschaffung des traditionellen Religionsunterrichtes ist jedenfalls, dass an öffentlichen Schulen religiöse Unterweisung eigentlich nichts zu suchen hat. Das heisst nicht, dass Religion im Schulunterricht, etwa in Geschichte, Sozialkunde oder im von mir vorgeschlagenen Fach "Allgemeine Religions- und Kulturkunde" keine Rolle spielen soll- im Gegenteil. Aber eben nicht als religiöse Unterweisung einer bestimmten Gemeinschaft, sondern als neutrale Wissensvermittlung *über* die verschiedenen Religionen.

  • S
    sisal

    Schön geschrieben und sehr wahr. Selbst zu DDR-Zeiten gab es in der Humboldt-Uni für zukünftige Deutschlehrer das Fach Bibelkunde. Nicht schwer zu erraten, warum. Was da ist, ist da. Man kann es nicht leugnen, bloß weil es einem nicht gefällt. Es ist in jedem Fall besser, darüber Bescheid zu wissen.

  • A
    andreas

    Dafür liebe ich die taz. Es lebe der Pluralismus!

  • P
    Peter

    Glauben - heißt: nicht wissen. Wenn Herr Mishra meint, "Kirchliche Kitas und Altenheime, Krankenhäuser und Hilfswerke sind weit über religiöse Kreise hinaus geachtet und anerkannt." sollte er sich doch zuerst ein Bild über deren Finanzierung machen, diese werden zum Großteil durch die Steuerzahler und NICHT nur durch Christen getragen. Und über sinnvollen Dialog mit Muslims, der angeblich ohne Kenntnis Jesus C. nicht möglich wäre, kann ich ja nur noch lachen.

    Alles in allem ist dieser Artikel einer aufgeklärten Gesellschaft unwürdig - und sollte eher auf der Wahrheit-Seite erscheinen.

    Wenn Herr Mishra also seine kinder zum Religionsunterricht schicken mag, empfehle ich ihm, doch dies im Rheinland oder irgendwo dort, wo dieser angeboten wird zu tun.

  • E
    erwin

    endlich mal ein vernünftiger Beirag zum Thema christlicher Religionsunterricht in der taz, die meisten, die wissen,wie gut der evangelische Religionsunterricht zu themen frieden, frauen-und menschenrechte, klima, kirchentage, interreligiöser Dialog ,Umwelterziehung und Bibelauslegung aktuell und zeitgemäss geworden ist in den letzten 30 jahren,werdennach all den Beleidigungen,die da zu ertragen waren mit dem frosch oder der wurst am kreuz und den immer wieder linksdogmatischen alten klischees gegen die kirchen ,während reaktionäre formen des islam noch als kultur verherrlicht werden, die man zu tolerieren und nicht zu kritisieren habe nach den gleichen standards wie reaktionäre oder fundamentalistische katholiken oder protestantische sekten..wieso ist satire in der taz nur gegenüber den christlichen kirchen und dem kreuz-das übrigens auch das kreuz der theologie der Befreiung ist, aber nicht gegenüber muslimischen symbolen erlaubt??

  • F
    Feuerbach

    Dies ist sicherlich einer der entbehrlichsten Beiträge, die ich in der taz je gelesen habe. Eine dermaßen unsinnige Aneinanderreihung von fadenscheinigen Argumenten, die noch nicht mal im Ansatz den Kern der Sache berühren, liest man zum Glück noch selten. Merkwürdigerweise benennt Mishra nie, um was es der Initiative geht: Es geht ihr nicht um Religionskunde, sondern um von den Religionsgemeinschaften, Kirche oder Sekten (wie immer man sie nennen mag) selbst veranstalteten Religionsunterricht an staatlichen Schulen! Und "Menschen die religiös-musikalisch sind [was immer dies heißen mag], ... in ihrem Glauben an Gott bestärken" ist sicherlich keine legitime Aufgabe einer staatlichen Schule in einer einigermaßen pluralistischen Republik! Das sollen die Religionsgemeinschaften, Kirche oder Sekten mal fein alleine machen - vorzugsweise sonntags!

     

    Es ist doch sehr ärgerlich, dass diese unverholenen Propagandaschrift hier veröffentlicht wurde!

  • A
    anke

    Sie befinden sich im Irrtum, Herr Mishra, wenn Sie annehmen, Gott würde permanent bekämpft von denen, die nicht an ihn glauben. Wer nicht an Gott glaubt, der braucht sich mit ihm auch nicht anzulegen. Er muss höchstens gegen diejenigen antreten, die für Gott in die Schlacht ziehen. Wer hingegen behauptet, er müsse Gott persönlich bekämpfen, der glaubt auch an ihn. Und zwar mindestens so sehr, wie derjenige an ihn glaubt, der meint, er müsse seinen Gott verteidigen.