Kommentar Rauchverbot: Killerpilze gegen Kältetod
In Hessen ist das Rauchen in Kneipen schon verboten. Die Wirte klagen über Umsatzeinbußen - und stellen klimaschädliche Heizpilze auf.
Die Ungleichzeitigkeiten im Leben sind faszinierend. Seltsam koexistieren die unterschiedlichen Zeiten nebeneinander. Vergangenheiten sagen "hallo" an allen Ecken, und die Splitter der Zukunft ragen in die Gegenwart hinein. Manchmal sind es nur kleine Schilder mit durchgestrichenen Zigaretten auf den Tischen, die bedeuten, dass es im vertrauten Café schon Januar 2008 ist. Enttäuscht weigert man sich, die Insel zu betreten, die die Zukunft da schon hingestellt hat.
Das war in Berlin. Einige Tage später fuhr ich nach Hessen auf eine kleine Lesereise. In Hessen war die Zukunft (die sich wie die Schrift von links nach rechts, von West nach Ost bewegt) schon vor einigen Wochen eingetroffen. In den öffentlichen Gebäuden, allen Kneipen und Veranstaltungsorten ist das Rauchen seit dem ersten Oktober streng verboten.
Viele Wirte sind entsetzt, leiden unter Umsatzeinbußen und klagen darüber, dass die von der Bundesregierung versprochenen Nichtraucher noch nicht gekommen sind. Sie wehren sich - etwa in Frankfurt - mit Verfassungsbeschwerden, Unterschriftenlisten und Montagsdemonstrationen gegen die neuen Regelungen. In der letzten Ausgabe des frankfurter Stadtmagazins journal Frankfurt sagten viele schon mal "tschüss" zu ihren Kunden.
Aus "Notwehr" (so der Vorsitzende des Marburger Hotel- und Gaststättenverbandes Gerhard Boucsein) und weil "wir sehr liebevoll zu unseren Rauchern" sind (so eine Angestellte des Marburger Lokals Felix), stellen viele Wirte Heizpilze vor ihre Kneipen. Da steht man dann in Lesungspausen und jemand sagt, dass es in rauchfreien Diskotheken kaum mehr auszuhalten wäre, weil es dort nun so sehr nach Schweiß riechen würde, der zuvor vom Qualm übertönt worden wäre.
In Zeiten der Klimarettungskampagnen stellen die "Killerpilze" einen Akt offensiver öffentlicher Verschwendung dar und stoßen so auf Unwillen. In Stuttgart und Köln wurden sie deshalb bereits verboten. Tübingen will folgen, Berlin überlegt. Und wird vermutlich noch eine Weile überlegen, denn ein beträchtlicher Teil der gastronomischen Fläche in den tourismusrelevanten Gebieten wird ja schon seit Jahren so beheizt, ohne dass sich jemand groß aufgeregt hätte.
Nachdem ich in einem Text scherzhaft daran erinnerte hatte, dass alle Grünen früher geraucht hatten wie Schlote, kaufte ein netter Mann, der Anfang der Achtzigerjahre genau deshalb bei den Grünen wieder ausgetreten war, gleich drei meiner Bücher. Und als es dann schon spät geworden war, schloss der Wirt Türen und Fenster, und stellte einen großen Aschenbecher mit der Aufschrift: "Stummtisch" auf den Tisch. Genauso war es manchmal in den Achtzigern gewesen, nur dass man damals in der verschlossenen Öffentlichkeit Hasch geraucht hatte.
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