Kommentar Qualifizierungsinitiative: Hetzen statt Handeln
Warnschussarrest? Eine großartige Idee, die man etwa auf Politiker anwenden könnte, die Themen für ihre Wahlkämpfe missbrauchen.
Wie verlogen die Debatte über Jugendgewalt war, ließ sich nirgendwo schöner sehen als im Bundeskabinett. Seit Weihnachten schwadroniert die Politik über kriminelle Zuwanderer und perspektivlose Intensivtäter. Wenn aber die Chance besteht, etwas zu tun, dann schalten die Amtsträger runter auf Dienst nach Vorschrift. So geschehen, als den Damen und Herren Ministern eine Qualifizierungsinitiative auf den Tisch flatterte.
An dem Papier lässt sich viel herummäkeln. Irgendwie ist es alles und nichts, da geht es wild durcheinander, von PR-Aktionen für den Hochschulstandort Ostdeutschland bis hin zum Aqua-Projekt, das das Zeug hat, in die Hitliste der bescheuertsten Abkürzungen einzugehen: Aqua steht für "Akademiker qualifizieren sich für den Arbeitsmarkt". In der Summe freilich steht in der Qualifizierungsinitiative viel von dem drin, mit dem man die Ursachen von Jugendgewalt und Perspektivlosigkeit bekämpfen könnte. Allen voran die Unterstützung für Kinder aus bildungsarmen Elternhäusern oder die neuen Auffangnetze für Schulabbrecher und Ungelernte. Sogar sozialpädagogische Angebote werden gemacht. So genannte Case-Manager sollen jedem einzelnen von 1.500 Schulverweigerern den Weg durch den Dschungel des niederen Ausbildungswesens bahnen. Prima also. Aber warum muss ein weiteres Dreivierteljahr vergehen, ehe das in Angriff genommen wird? Lediglich der kleinere Teil, den die Bundesregierung allein verantwortet, kann starten. Ansonsten beginnt ab morgen das große Palaver mit Sozialpartnern und Ländern. Und im Herbst 2008 gibt es einen weiteren Gipfel mit der Bundeskanzlerin.
Seltsam. Vor ein paar Tagen noch war es der Wahlkämpfergemeinde wahnsinnig wichtig, gewalttätige Teenies in einen Warnschussarrest zu nehmen. Wer hinlangt, so die gar nicht falsche Idee, soll die Strafe sofort spüren. Vielleicht wäre ein Warnschussarrest auch für Politiker gut. Wenn sie ein Thema derart missbrauchen, werden sie in eine gläserne Gesetzgebungsbox eingesperrt. Entlassung erfolgt erst, wenn sie etwas Kluges beschlossen haben. CHRISTIAN FÜLLER
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!