Kommentar Prozess gegen Mubarak: Test für das neue Ägypten
Den Demonstranten vom Tahrir-Platz ist es zu verdanken, dass Mubarak vor Gericht steht. Würde daraus jetzt ein Schauprozess wäre das fatal.
D ie ägyptische Revolution geht weiter: Das ist die Botschaft, die vom Prozess gegen den ehemaligen Präsidenten Mubarak ausgeht, der nun in Kairo begonnen hat. Als der Oberste Militärrat am 11. Februar dieses Jahres in Ägypten die Macht übernahm, hatte er nicht die Absicht, den Exvorgesetzten vor Gericht zu bringen.
Dass es jetzt doch dazu gekommen ist, geht auf den hartnäckigen Druck der Demonstranten auf dem Tahrirplatz zurück. Sie forderten Rechenschaft für seine drei Jahrzehnte lange autoritäre Herrschaft, die von Korruption, Menschenrechtsverletzungen und zuletzt offener Gewalt geprägt war.
Seit Mubaraks Sturz vor sechs Monaten ist Ägypten im Wandel begriffen. Jede Veränderung muss weiterhin Schritt für Schritt erstritten werden. Doch seit Februar ist, im konfliktreichen Zusammenspiel von Militär und Tahrirplatz, schon vieles erreicht worden: Mehrere Regierungen wurden ausgewechselt, das Parlament - einst bei offenkundig manipulierten Wahlen zustande gekommen - wurde aufgelöst. Auch die Provinzräte, die alte Regierungspartei und die Staatssicherheit wurden aufgelöst, 600 Polizeioffiziere entlassen.
BEATE SEEL ist Redakteurin im Auslandsressort der taz und zuständig für Nahost.
In den Betrieben und Institutionen versuchen Beschäftigte, Chefs aus der Mubarak-Ära loszuwerden und neue zu wählen, ein Mindestlohn soll eingeführt werden. Die Medien erfreuen sich ungekannter Möglichkeiten, und noch in diesem Jahr stehen die ersten freien Parlaments- und Präsidentschaftswahlen an.
Vor diesem Hintergrund hat die Tatsache, dass nun Mubarak und weitere Angeklagte aus seinem Umfeld vor Gericht stehen, weit mehr als nur symbolische Bedeutung. Das Verfahren ist vielmehr selbst Teil einer politischen und gesellschaftlichen Umwälzung, die bei Weitem noch nicht abgeschlossen ist. Darum ist es nicht nur wichtig, dass der Prozess überhaupt stattfindet - sondern auch, wie er stattfindet. Ein Schauprozess mit Todesstrafen wäre ebenso fatal wie es rein symbolische Strafen für die Angeklagten wären.
In den kommenden Wochen und Monaten wird es im Gebäude der Kairoer Polizeiakademie nicht nur um Aufklärung gehen; sie sind auch ein Test für die neue Rechtsstaatlichkeit. Da das Verfahren im Fernsehen direktübertragen wird, kann die ganze ägyptische Bevölkerung den Prozess verfolgen und sich eine Meinung darüber bilden. Doch nicht nur für die Demonstranten vom Tahrirplatz geht es dabei um viel. Der Prozess gegen Mubarak ist für die gesamte arabische Welt ein Meilenstein.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Treibhausgasbilanz von Tieren
Möchtegern-Agrarminister der CSU verbreitet Klimalegende
Ägyptens Pläne für Gaza
Ägyptische Firmen bauen – Golfstaaten und EU bezahlen