piwik no script img

Kommentar Proteste gegen FlüchtlingeAnwohner und Kinder zuerst

Deniz Yücel
Kommentar von Deniz Yücel

Neonazis organisieren Proteste gegen Flüchtlinge. Sie tarnen sich als „Anwohner“ und argumentieren mit dem Wohl von Kindern.

Berlin-Marzahn: Hier gibt es jede Menge Anwohner und Kinder Bild: dpa

S eit einigen Wochen gibt es in Ostberliner Vierteln wie Marzahn, Köpenick und Buch Proteste gegen geplante Flüchtlingsunterkünfte, am Samstag soll ab 14 Uhr eine zentrale Demonstration in Marzahn stattfinden. Die Organisatoren fordern die Teilnehmer ausdrücklich dazu auf, nicht mit der Presse zu reden.

Bei der Demonstration am Montag war dies noch nicht der Fall. Wer sich dort unter den Demonstranten umhörte, stieß auf zwei zentrale Begriffe: Auf der Straße sind Anwohner. Und zwar wegen der Kinder.

Beide Begriffe sind anschlussfähig bis weit in Milieus, die weit weg sind vom proletarisch-ostdeutschen Dumpfbackentum. Und als politische Kategorie sind beide Begriffe tendenziell autoritär. Der Anwohner ist das Gegenstück zum Citoyen. Wo der Citoyen sich nicht wegen seiner partikularen Interessen, sondern als Teil des Ganzen in öffentliche Belange einmischt, wedelt der Anwohner mit der Hausordnung herum und verlangt Ruhe und Ordnung. Argumente braucht der Anwohner nicht, er ist ja Anwohner.

Wenn der Anwohner dennoch ein Argument bemüht, dann am liebsten das mit den Kindern. Auch die Neonazis haben kapiert: Wer irgendeine Gemeinheit im Sinn hat, argumentiert am besten mit dem Wohl der Kinder. Die können nicht widersprechen. Kein Wunder, dass bei der „Montagsdemo" in Marzahn ein YouTube-Hit des Nazirappers „Villain051" gespielt wurde : „Für unsere Kinder." Auch das Lied, das er inzwischen zusammen mit der Rechtsrockband „Wut aus Liebe" eigens für die Proteste gegen Flüchtlinge aufgenommen hat, beginnt gleich mit den Kindern.

Der Mob, der sich im Berliner Osten zusammenbraut, besteht nicht allein aus organisierten Nazis. Genau darin liegt die Gefahr. Doch die Trennung zwischen „besorgten Anwohnern" und Rechtsextremisten, wie sie Innensenator Henkel vornimmt, ist absurd. Schließlich können Anwohner zugleich rechtsextrem oder rassistisch sein. Und Nazis sind auch Anwohner, irgendwo ganz bestimmt und nicht selten eben in Marzahn.

Ein Hauch von Rostock

Ein wenig erinnert die Stimmung in Ostberlin (und erst recht in Dresden) an Rostock '92. Dennoch wäre es falsch zu glauben, dass die Proteste gegen Flüchtlinge bloß eine Sache der ostdeutschen Unterschicht wäre. So gab es 2014 im reichen Bad Soden bei Frankfurt am Main Proteste gegen eine Containerunterkunft. Keine Nazis, sondern ganz gewöhnliche Anwohner, geleitet von ganz gewöhnlichem Ressentiment.

Andererseits ist im Osten ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall die Scheu, gemeinsame Sache mit Neonazis zu machen, geringer als im Westen. Dazu müssen die Neonazis nur auf allzu offensichtliche Symbolik verzichten - worauf die Organisatoren großen Wert legen. Und sie müssen versuchen, sich nicht nach Nazis anzuhören. Sondern nach Anwohnern in Sorge um die Kinder.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Deniz Yücel
Kolumnist (ehem.)
Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.
Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Ich habe überhaupt nichts gegen Ausländer und bin bereit zu helfen. Ich bin aber absolut dagegen, dass kriminell gewordene Ausländer nicht nach Hause geschickt werden dürfen. Wenn ich beschliesse im Ausland zu leben, dann muss ich mich an die dortigen Gesetze, Lebensgewohnheiten etc. gewöhnen und anpassen. Ich muss es akzeptieren, denn ich bin ein Gast in diesem Land. Genauso erwarte ich als Gastgeber, dass mein Gast diese Gastfreundschaft zu schätzen weiß. Ich denke das sind Regeln die überall auf der Welt gelten. Für nichts anders demonstrieren die Menschen in Sachsen. Wir sind froh, dass es die fleißigen vietnamesischen Gemüsehändler gibt, wir beim Griechen bzw. Italiener essen gehen können und beim Türken einen Döner kaufen. Das macht unsere Stadt bunter. Aber die gesamte Politik ist falsch und nun haben die Politiker Angst vor der Wahrheit. Deshalb werden die Demonstranten mal ganz schnell in die rechte Ecke gedrängt. Somit kann man doch von den Problemen ablenken. Noch ein paar kriminelle Linke angeheuert und deren Aktionen als Harmlos ausgelegt. Fein gemacht- Problem erst einmal gelöst. Dann werden noch solche Lügenartikel abgedruckt und der Rest der Bundesrepublik denkt, in Dresden leben nur Menschen mit rechter Gesinnung und alle sind Ausländerfeindlich. Schon haben wir ein Feindbild erschaffen. Die Politiker haben sehr viel von Honecker & Co gelernt. Die waren großartig in Erschaffung von Feindbildern. Diese Masche hat vielleicht zu DDR -Zeiten gezogen, aber glücklicherweise lassen sich nicht mehr alle Bundesbürger für dumm verkaufen. Zum Glück kann man über Facebook & Co gestreute Unwahrheiten doch eher wiederlegen. Also liebe Bundesbürger seid wachsam, der Presse darf man keinen Glauben schenken. Kommt nach Dresden, jeder der Gas sein will, ist willkommen.

  • Eigentlich wollte ich mich zu dem Artikel Muslimhass in Dresden äußern, aber dieser wurde unglücklicherweise geschlossen. Aber hier kann ich meinen Kommentar ebenso loswerden. Wenn ich die Artikel und Kommentare Ihrer Zeitung lese, dann fühle ich mich in die DDR-Zeit zurückgesetzt. Die Journalisten sind politisch gesteuert und verbreiten absichtlich Lügen. Genau wie Karl Eduard Schnitzler mit seinem schwarzen Kanal damals. Alles was nicht der allgemeinen politischen Meinung entspricht wird in die Rechte Ecke gedrängt. Mir kommt es so vor, dass jeder Artikel zensiert wurde. Wir sind in Deutschland weit entfernt von einer Meinungsfreiheit. Natürlich wird niemand mehr eingesperrt und wir können in Freiheit leben. Aber die Wahrheit muss Schweigen. Wenn ich diese Überschrift Muslimenhass in Dresden lese, dann würde ich diesen Herrn Bartsch liebend gern als Dresdner für diese Frechheit verklagen. Schade so etwas wäre wahrscheinlich nur in den USA möglich. Manche Journalisten würden dann wahrscheinlich besser recherchieren. Mit dem Wort "Hass" sollte man sehr vorsichtig umgehen. Wir in Dresden haben nichts gegen Ausländer, aber wir haben etwas gegen eine schlecht organisierte Integration. Durch sogenannte Journalisten und unsere Politiker wird Fremdenfeindlichkeit regelrecht geschürt und nicht durch die Demonstrationen. Falls Herr Bartzsch sich überhaupt belesen hat, sind die Demonstranten der Pegida aufgefordert Journalisten keine Fragen zu beantworten, weil ansonsten nur Lügen verbreitet werden. Das ist wohlweislich bereits geschehen (siehe dieser Artikel).

  • 7G
    774 (Profil gelöscht)

    [Wer irgendeine Gemeinheit im Sinn hat, argumentiert am besten mit dem Wohl der Kinder.] - Heuchler aller Coleur bedienen sich dieser Methode. Geld, Stimmenfang und Internet-Kontrolle. Letztendlich dient es der Errichtung eines Fascho-Systems. Und das dumme Volk begreift das nicht.

  • Bin da just auf dem Weg nach Hause vorbeigelaufen gegen ca. 17:15 (Tram fährt ja nicht).

    'Und sie müssen versuchen, sich nicht nach Nazis anzuhören. Sondern nach Anwohnern in Sorge um die Kinder.'

    Was bei 'Deutschland den Deutschen' und 'Berlin bleibt deutsch'-Rufen sicher prima gelungen ist - und diesesmal war ganz sicher mehr Presse vor Ort wie sonst an den Montagen.

  • Mir passt nicht ganz die Gegenüberstellung "Anwohner-Citoyens" und die dann folgende Abwertung des Begriffes "Anwohner".

     

    Der Anwohner ist das Individuum. Inwieweit sich ein Individuum sich den Regeln der Gemeinschaft unterordnen soll, sollte schon eine ausführlichere Fragestellung sein.

    Wenn die Mehrheit in Marzahn nix mehr mit den Regeln der BRD zu tun haben will, dann lasst sie doch gehen. Wenn sie autonom bestehen können, dann lasst sie ihren Dreck alleine machen. Ohne Heime für Asylbewerber, ohne Steuern und Regeln aus der BRD, ohne Arbeitsplätze außerhalb Matzahns.

    Referendum für Marzahn? Da habe ich keine Probleme mit. Wie mit vielen Gebieten in der ehemaligen DDR. Pech nur, dass Putin diese Einflußsphäre einfach nicht zurücknehmen will.

  • "Doch die Trennung zwischen „besorgten Anwohnern" und Rechtsextremisten, wie sie Innensenator Henkel vornimmt, ist absurd."

     

    Überhaupt: Was gibt es da, besorgt zu sein? Die Flüchtlinge wären froh, sie hätten nur die Sorgen der Anwohner.

  • Ich war so froh, dass der Zuzug, der Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunion, den Großteil der Haupthaarlosen Fraktion vertrieben hat.

    Jetzt kommen die ehemaligen Anwohner wieder, diesmal mit der S-Bahn, um gegen eine Flüchtlingsunterkunft zu demonstrieren, mit der sie nichts zu tun haben.

     

    Als Anwohner bin ich so langsam genervt, von dem Lärm, den die Demonstrationen verursachen, genervter, als von den kleinen Geistern, die Angst vor den unbekannten Flüchtlingen haben.

     

    Vielleicht brauchen wir auch bald Flüchtlingsunterkünfte, wenn unsere Regierung, weiter mit dem Stock Richtung Osten stochert, um den großen Bären zu provozieren.

     

    Alles ist möglich, viele sind unmöglich.

  • Ein Nazi Zoo mitten in der Weltstadt Berlin. Zaun drum und Eintritt nehmen von den Touristen.

    • @anna müller:

      Sag´ich doch: Der antifaschistische Schutzwall stand falschrum.