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Kommentar Präsidenten-WahlDer Rot-Grün-Test

Kommentar von Klaus Hillenbrand

Es ging bei der Operation Gauck nicht darum, ein linkes Bündnis zu schmieden, sondern im Gegenteil nach neuen Bündnissen mit dem bürgerlichen Lager zu suchen. Das ist gelungen.

W arum nur haben SPD und Grüne sie nicht eingebunden und keinen Kompromisskandidaten für das Präsidentenamt gefunden, greinen Vertreter der Linken. Warum nur sind die Linken nicht in der Lage, die Chance zu ergreifen, der angeschlagenen Bundesregierung mit der Wahl von Joachim Gauck den Todeskuss zu versetzen, erregen sich SPD-Rote und Grüne.

Beide Darstellungen beruhen auf einem grundsätzlichen Missverständnis. Selbstverständlich haben alle realistisch denkenden Rot-Grünen gewusst, dass die Linkspartei eben nicht über ihren Stasi-Schatten springen und Gauck wählen würde.

Es ging bei der Operation Gauck nicht darum, ein linkes Bündnis zu schmieden, sondern im Gegenteil darum, nach neuen Bündnissen mit dem bürgerlichen Lager zu suchen. Und das ist angesichts der großen Zahl von schwarz-gelben Überläufern auch hervorragend gelungen. Dass die Linkspartei dabei freiwillig die Rolle der beleidigten Leberwurst übernahm, ist ein hübscher und gewollter Nebeneffekt.

Bild: detlef werth

Klaus Hillenbrand ist Chef vom Dienst in der taz.

Es ist nun so: Die Liste der Optionen für künftige Bündnisse ist für die Linke deprimierend kurz. Eine Koalition ist nur mit Rot-Grün denkbar. Wenn die nicht wollen, bleibt man auf ewig Opposition. Ob die Linke überhaupt will, scheint nicht ganz geklärt, was eine solche Kooperation für Rot-Grün nicht eben attraktiver macht.

SPD und Grüne dagegen verfügen über erfreulich viele Möglichkeiten: Sie könnten gemeinsam mit einer reformierten FDP, und SPD und Grüne könnten jeweils getrennt mit den Schwarzen koalieren.

Und schließlich legen jüngste Umfragewerte eine längst abgelegte Variante nahe, ist doch erstmals seit Jahren wieder eine Mehrheit für SPD und Grüne denkbar. Rot-Grün! Gründe genug also, diese Optionen einmal einem unverbindlichen Testlauf zu unterziehen.

Das rot-rot-grüne "Projekt" mag manchem aus inhaltlichen Gründen wünschenswert erscheinen. Wahrscheinlicher wird es deshalb nicht. Es könnte sich vielmehr zu einer interessanten Angelegenheit für immerwährende Theoriezirkel entwickeln.

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taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
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16 Kommentare

 / 
  • HH
    Hanns Hartz

    Ich glaube nicht, dass Rot-Grün ohne die Linke noch einmal eine Regierungschance hat. Was regieren mit der FDP für deren Partner bedeutet, dass lässt sich derzeit im Fall von schwarz-gelb gut beobachten - davon dürften weder SPD noch Grüne profitieren. In einer weiteren Großen Koalition hingegen würde die SPD dauerhaft unter 20 Prozent sinken, was aus ihrer Sicht auch nicht vorteilhaft wäre. Sowohl Grüne als auch SPD sollten sich wieder ihrer Stammwählerschaft zuwenden, die ihren neoliberalen Schwenk nicht mitvollzogen hat - und wenig Verständnis für eine Reduktion jener Partei auf die Frage der Vergangenheitsbewältigung hat.

    Vielen darunter dürfte klar sein, dass mit dieser Kampagne nur davon abgelenkt werden soll, dass die Linken heute jene wirtschafts- und sozialpolitischen Standpunkte vertreten, die noch vor 12 Jahren für Grüne und SPD selbstverständlich waren. Dass gerade die Grünen in den letzten Jahren solche Gestalten wie die "INSM-Botschafter" Metzger und Scheel tolerierten zeigt, wie sehr sie sich von ihren Ursprüngen entfernt haben.

  • T
    thafaker

    Es kann ja sein, dass die Ansichten und politischen Einstellungen von Herrn Gauck für die Fraktion der Linken der Grund war, ihn auch im letzten Wahlgang nicht zu wählen. Aber für den großen Teil der ostdeutschen Mitglieder und Wähler war es mit Sicherheit die Arbeit von Gauck als „Stasiaufklärer“, die ihn nicht wählbar machten und die Partei vor einer großen Zerreißprobe gestellt hätte, wenn sie ihn gewählt hätten.

     

    Zu mindestens hatte ich so das Gefühl, wenn ich in meinen Bekanntenkreis nach Meinung zu Gauck gefragt hatte. Bei fast allen spielte nur die „Stasiaufklärung“ und nicht die Ansichten von Herrn Gauck eine Rolle. Und selbst beim Herrn Gysi, was menschlich nachvollziehbar wäre, würde es mich wundern, wenn es keine gespielt hätte. Man kann ja von der Arbeit des Herrn Gauck halten was man möchte, aber so zu tun als ob das bei den Linken keine Rolle gespielt hätte, finde ich schon ziemlich verlogen.

     

     

    Ich muss leider sagen, dass der ganze Umgang mit der eigenen Vergangenheit, die Linke, für mich als eigentlich jungen linksorientierten Menschen nicht wählbar macht. Hier fehlt mir ganz einfach eine gewisse ehrliche Selbstreflektion meiner Elterngeneration.

  • A
    AuWeiA

    Weiter geht's mit LINKEN-Bashing und den Verdrehungen. LINKE "greinen", wissen wir nun. Aha.

     

    Weiter heißt es "... dass die Linkspartei eben nicht über ihren Stasi-Schatten springen und Gauck wählen würde".

    Wieder wird so getan, als ob es nicht gute und gut begründete Gründe gab (und gibt!), Gauck nicht zu wählen. Um die Stasi ging es dabei jedenfalls nicht, auch wenn uns dies die taz im Verbund mit den anderen 'unzensierten' Medien gerne einimpfen möchte.

     

    Was läuft denn da für ein Kampagnen-Hype, liebe Leute? Hält die taz ihre Online-Leser wirklich für so schlicht, dass sie dieser Manipulation auf den Leim gehen?

  • TS
    Thomas Storrer

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    Ein rot-rot-grünes Bündnis ist für SPD und Grüne, von Ausnahmen abgesehen, keine Option. Daran hätte auch nichts geändert, dass die Linken Gauck gewählt hätten. Hätten sie es getan, hätte dies die abtrünnigen Delegierten der Regierungsparteien diszipliniert. Warum haben sie es nicht getan? Weil sie nicht über ihren Stasi-Schatten springen konnten, wie Klaus Hillenbrand schreibt? Oder weil er unsägliches Zeug redet und mit seinem Pathos und seiner Selbstgefälligkeit auch eine peinliche Figur ist? Dass seine Kandidatur bei SPD und Grünen ohne Diskussion seiner politischen Ansichten durchgegangen ist, war gewollt unpolitisch und entpolitisierend.

  • JW
    Julia Witt

    Ganz genau so isses...siehe auch die gestrige Erklärung des FDS http://www.forum-ds.de/article/1918.bundespraesidentenwahl_2010_8211_kein_rot_rot_gruenes_projekt.html

    Skurriler ist, wieso gerade die bügerlichen Medien

    soooo lautstark die blöden Linken kritisieren, die damit rot-rot-grün verhindert haben...

  • A
    alcibiades

    Och, Koalitionsoptionen, Verbündete suchen, bla bla. Immer dasselbe: politische Inhalte sucht man meist vergeblich, Gabriel und andere nutzten mal wieder mal die Gelegenheit, auf die Linke einzuhacken, was auch bereitwillig in vielen Kanälen verbreitet wird. Dass die Linken nicht müde werden zu betonen, dass Gauck halt mal wegen seiner Standpunkte zu Afghanistan und zum neoliberalen Umbau unserer Gesellschaft für sie unwählbar war, das interessiert keinen. Stattdessen wird das Statement eines West-Linken (Dehm) herangezogen, um die Stasi-Vergangenheit der Linken zu beweisen. Ja geht es denn noch? Was hätte die Linke denn gewonnen, wenn sie für Gauck gestimmt hätten? Die Zufriedenheit der SPD, die dann bei der nächsten Gelegenheit wieder "nicht koalitionsfähig" oder "nicht regierungsfähig" schreit. Verloren: die Unterstützung ihrer Wähler, die doch auch so ein klitzekleines demokratisches Wörtchen mitzureden haben und keineswegs nur aus alten Stasi-Obristen bestehen. Rechnet sich das? Sollte nicht besser die SPD mal ins Nachdenken kommen? Es reicht halt nicht, Angela Merkel zu schwächen. Man muss schon selber irgendwas wollen.

    Hauptgrund, Gauck zu wählen, war laut meiner eigenen nicht repräsentativen Umfrage im Bekanntenkreis, dass der "so gut reden kann". Das kann der Gysi eigentlich auch. Man muss ihn ja nicht gleich zum Präsidenten machen. Aber ihn mal gelegentlich ausreden lassen, das wäre zumindest höflich und heilige demokratische Kultur, n'est-ce pas?

  • G
    gerhard

    "Warum nur sind die Linken nicht in der Lage........... mit der Wahl von Joachim Gauck den Todeskuss zu versetzen?, erregen sich SPD-Rote und Grüne."

     

    Eine mögliche Antwort dazu wird gleich mitgeliefert:

    "...dass die Linkspartei eben nicht über ihren Stasi-Schatten springen und Gauck wählen würde...usw."

     

    Und wie steht es mit der Antwort , warum sind die gelb-schwarzen nur ansatzweise und nicht in einer grösserer Menge über jenen fraglichen Schatten gesprungen ?

     

    Auch hier dürfte die Verknüpfung von Stasi und Gauck zu enge Assoziationen ausgelöst haben. Man kann eben nicht so einfach, einen ehemaligen "Stasihunter" nun zu einem Nationalhelden -sprich Bundespräsidenten- hochstilisieren wollen. Obwohl Gauck "augenfälliger" als Wulff für viele Beobachter ins Auge sprang, ist das Wahlergebnis aus Sicht der CDU/FDP durchaus zu verstehen. Es gibt ja auch noch eine Vergangenheit Merkel mit dem damaligen System, ohne dass man jetzt Gerüchte einer vermeintlichen Stasi Verquickung bemühen muss. Neutraler ist zusammengefasst eben der "glanzlosere " und damit für die angeschlagene gelb-schwarze Koalition bequemere Wulff in diesem Fall gewesen.

  • TK
    Thomas Keller

    Die Operation Gauck sehe ich genauso, eher noch weiter: als absichtliches Diskretitieren der Linkspartei im Hinblick auf Regierungsbildung und eventuelle Neuwahlen in NRW.

    Schlimm ist Hillebrands letzte Einschätzung: "mag aus inhaltlichen Gründen wünschenswert... könnte sich zur Angelegenheit von Theoriezirkeln entwickeln"

    Letztlich heißt das "inhaltsleere Politik statt Inhalte". Schlimm deshalb, weil ich glaube, dass die Einschätzung realistisch ist.

  • V
    vic

    Die Linke ist kein Wahlhelfer für einen SPD-Grüne Kandidaten, der nur wenig besser ist als der CDU-Knecht.

    Mit SED Schatten hat das nichts zu tun.

  • W
    W.B.

    Ah, ja - der Stasi-Schatten solls mal wieder gewesen sein. Nicht etwa, dass Trittin und Gabriel auf den Kandidaten Gauck geeinigt "wurden". Um anschließend wie selbstverständlich davon ausgehen, dass die Linke Gauck einfach mitwählt. Ohne dass überhaupt um Zustimmung geworben wurde.

     

    "Über erfreulich viele Möglichkeiten" verfügt einzig und allein die CDU. Diese kann sich den nächsten Koalitionspartner aussuchen. Wer von SPD, FDP oder Grünen am ehesten bereit ist, verbliebene Überzeugungen, Aussagen in Parteiprogrammen über Bord zu werfen, darf ein wenig Macht abbekommen.

     

    Von einen CvD sollte man eine nüchternere Einschätzung der Ereignisse / Situation erwarten können ...

  • T
    Tajmahal

    Herr Hillenbrand, niemand will eine Linke, die dem früher von der CSU avisierten Kandidaten Gauck aus taktischer Spielerei von 'Rot-Grün' hinterherläuft, Kriegsbefürworter und Gegner der Anerkennung der Oder-Neisse-Linie. Noch mehr Tote in Afghanistan? Wieder in Polen einmarschieren? Die Linke machte das grün-rote Theater nicht mit, einem konservativen Wulff einen politisch noch grauenhafteren 'Gegner' entgegen zu setzen. 'Stasi-Vergangenheit'? Nach 20 Jahren freiem Zugriff auf Stasi-Akten warten wir bis heute auf dieselbe Freiheit bei BND und Verfassungsschutz.

  • AB
    Alex B.

    Ach, schade. Wenigstens in der taz hätte ich mir eine differenziertere Betrachtung gewünscht, warum man die Linke nicht ohne Selbstverleugnung den "Agenda-Bürgerrechtler" (taz-Titel) Gauck wählen konnte. "Stasi-Schatten", achje. Um Inhalte geht es schon lange nicht mehr in der Berichterstattung in diesem Lande. Auch die taz hat sich diesem Schwarmverhalten angeschloßen.

     

    Leider ist für Sie offenbar undenkbar, dass die Politik der Linken noch auf was anderes ausgerichtet sein könnte, als auf Regierungsoptionen und Macht. Politik hat auch etwas mit Konsequenz und Inhalten zu tun; ja, sowas gibt es tatsächlich noch. Und Politik lässt sich zur Not aus der Opposition heraus gestalten, wenn Regierungsbeteiligung nur durch Selbstverleugnung und Opportunismus zu haben ist.

     

    Und dann auch noch Verdrehereien wie die "Chance [...], der angeschlagenen Bundesregierung mit der Wahl von Joachim Gauck den Todeskuss zu versetzen"! Gauck hatte nie eine Mehrheit. Auch nicht mit der Linken. Die paar Abweichler aus dem bürgerlichen Lager gab es doch nur, weil klar war, dass Wulff trotzdem seine Mehrheit bekommt. Und im dritten Wahlgang, wo das in Gefahr war, hatte er plötzlich wieder seine absolute (!) Mehrheit. Hätte auch die Linke Gauck unterstützt, hätte es diese Abweichler sicher nicht gegeben. Es ist doch wohl glasklar, dass die nie Wulff verhindern wollten, sondern nur Merkel ärgern, solange keine ernsthafte Gefahr für die Wahl Wulffs besteht.

    Frage ich mich: Warum stellen Sie es so da, als hätte das Verhalten der Linken irgendetwas verändert?

    Und: Glauben Sie, die Wahl eines anderen Bundes-Grußonkels hätte die ohnehin total zerrüttete Lage der Koalition noch ernsthaft beeinflusst? Sollte Schwarz-Gelb bald dem gebündelten journalistischen Kreuzfeuer (man sehe rechts: Entscheidung des Tages) nicht mehr standhalten, dann mit oder ohne Wulff. Schwarz-Gelb wird dann an Sparpaket und Kopfpauschalen-Versuch scheitern, nicht an Gauck. "Todeskuss", achje.

     

    Personalien bedeuten alles, Inhalte nichts.

  • KK
    Keller Klaus

    Gabriel + Co übten für rot-grün und wollen die große Koalition nicht ausschließen, siehe Gauckangebot an Frau Merkel.

     

    also weiter mit H4,Afghanistan, kein gesetzlicher Mindestlohn den es sogar in den USA gibt usw, usw, usw

     

    nur wer soll diese Leute wählen?

     

     

    klaus keller hanau

  • HE
    hansi evers

    Weche Optionen? Rot-Grün in NRW verspricht der abgewrackten FDP fette Staatssekretärposten um Mehrheiten zu kriegen ohne Linke.

    SPD-Grüne sind NEO-CONS, die Leute merken das nur noch nicht.

  • MS
    manne strautmann

    Diese Schmierenkomödie war gar keine echte wahl. Gauck wurde doch voll intrumentalisiert. Alle haben taktiert. Es ging nur um Machtspiele. Die einzigen , die nicht mitgemacht haben waren die LINKEN.

  • PB
    pauli balcerowiak

    ES ging ja garnicht um BP-Wahl. Alle haben taktiert. Gabriel, Trittin, die Überläufer, Frau Merkel, die FDP. Der übliche Sumpf von Machtstrategien und persönliche Rewchnungen.

    Die einzigen, die nicht mitgespielt haben waren die LINKEN. Deswegen hasst man sie jetzt. Aber sie haben Charakter bewiesen.