Kommentar Polizeimethoden: Staatliches Stalking
Die Polizeigewerkschaft fordert, mehr Polizisten einzustellen anstatt Online-Durchsuchungen zu gewähren. Nur hat das eine nichts mit dem anderen zu tun.
CHRISTIAN RATH ist der taz-Experte zu allen Rechtsfragen.
Auf Online-Durchsuchungen konnten sich die Innenminister erwartungsgemäß nicht einigen. Aber neue Gesetze zur Online-Überwachung seien ohnehin zweitrangig, ließ vorab die Gewerkschaft der Polizei (GdP) verlauten: wichtiger sei es, den Personalabbau bei den Sicherheitskräften zu stoppen. Sonst könne die Polizei wochenlange Observationen wie jüngst im Sauerland kaum noch stemmen, schon gar nicht mehrere solcher Aktionen.
Auch viele Bürgerrechtler finden die Forderung der Gewerkschaft sympathisch, weil sie den Ruf nach neuen Überwachungsgesetzen relativiert. Kriminalpolitisch lässt sich das eine aber nicht gegen das andere aufrechnen. Bei der Observation geht es darum, reales Handeln zu beobachten: Wer trifft sich mit wem, wer kauft Chemikalien, wo lagert er sie ein? Bei der Überwachung von Computern geht es um Informationen: Wer hat eine Bombenbauanleitung abgespeichert, die zu den gekauften Chemikalien passt? Wie lautet das Passwort für den externen Datenspeicher? Dies wird man auch nicht mit mehr Polizisten vor dem Haus herausfinden können.
Erstaunlich ist vielmehr, wie klaglos Bürgerrechtler die exzessive Observation hinnehmen. Denn wenn eine Gruppe von Verdächtigen wochenlang von mehr als 300 Polizisten Tag und Nacht beobachtet wird, hat dies ja durchaus auch etwas von einem Überwachungsstaat an sich - vor allem, wenn die Betroffenen offenbar genau wussten, dass sie überwacht werden. Man könnte dies auch als Staats-Stalking bezeichnen. Natürlich sind solche Methoden notwendig, um Anschläge mit hunderten von Toten zu vermeiden - was in diesem Fall ja offenbar auch gelungen ist. Aber es leuchtet nicht ein, warum hier so ganz andere Maßstäbe gelten sollen als für den heimlichen Zugriff auf einen Computer.
Stellen wir uns das umgekehrte Szenario vor: der heimliche Computerzugriff wäre schon immer erlaubt gewesen, nun solle die 24-Stunden-Observation durch Polizeibeamte neu eingeführt werden. Dann gäbe es wohl eine Kampagne gegen "staatlichen Observationswahn" - und vielleicht den Vorschlag, doch lieber mehr Computer zu überwachen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ökonom zu Habecks Sozialabgaben-Vorstoß
„Die Idee scheint mir ziemlich unausgegoren“
Strategien zur Klimarettung
Klimapopulismus, ja bitte!
Habeck stellt neues Buch vor
Sich „tastend bewegen“
Weltskiverband und der Berg Wank
Werbeverbot als Empörungsprophylaxe
Robert Habeck im Untersuchungsausschuss
Atomausstieg ohne Denkverbote
Grüner als die Grünen
Friedrich Merz wird Klimakanzler …