Kommentar Olympiaboykott: China erfolgreich bloßstellen
Die wirtschaftliche Bedeutung Chinas wird kein westliches Parlament dazu bringen, einen Boykott zu befürworten. Die UN und das Olympische Komitee müssen endlich aktiv werden.
W as tun für Tibet? Diese Frage beschäftigt Politiker von Berlin bis Washington, seit China brutal gegen die Demonstranten in Lhasa vorgeht. Zu überzeugenden Antworten gelangen sie dabei nicht. Während der französische Präsident Nicolas Sarkozy einen Olympiaboykott erwägt, hält US-Präsident George W. Bush sich lieber zurück, denn die Beziehungen zu China seien "sehr komplex".
Adrienne Woltersdorf ist taz-Korrespondentin in Washington.
Soll heißen: Die wirtschaftliche Bedeutung der Volksrepublik und ihr wachsendes politisches Gewicht in Ostasien werden kein westliches Parlament dazu bringen, ernsthafte Strafaktionen gegen China zu beschließen. Angesichts dessen klingen "Boykott"-Rufe in Sachen Olympia erst einmal gut, sind aber bei genauerem Hinsehen unsinnig. Denn so würden nur die Sportler bestraft, die sich vier Jahre lang auf die Wettbewerbe in Peking vorbereitet haben. Ebenso wenig - das lehrt die Erfahrung - würde ein Wirtschaftsboykott gegen China Wirkung haben. Darüber hinaus trifft er in der Regel die Falschen.
Schwer verständlich ist dagegen, warum die westliche Staatengemeinschaft nicht die Instrumente nutzt, die sie für solche Fälle geschaffen hat. Eine Rüge der Vereinten Nationen und eine Abmahnung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) wären wirkungsvoll. Das IOC sollte nachdrücklich darauf pochen, dass Gewalt und Repression gegen Pekings Versprechen verstoßen, es werde für die Verbesserung der Menschenrechtslage sorgen, wenn es die Olympischen Spiele ausrichten dürfe.
Ebenso verstößt China gegen die Menschenrechtscharta der UN - Grund genug, dass die Vereinten Nationen aktiv werden. Zwar musste sich China im UN-Menschenrechtsrat bereits deutlicher Kritik stellen, aber warum beauftragt Generalsekretär Ban Ki Moon nicht den Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen damit, einen unabhängigen Report zur Lage in Tibet zu erstellen? Das träfe die verzweifelt um gutes Ansehen bemühte chinesische Regierung wirklich. Wenn dann noch die Staatsoberhäupter demokratischer Länder damit drohten, der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele fernzubleiben, würden sie die Kritik an China wirkungsvoll unterstreichen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin