Dilemma der Olympia-Berichterstattung: Senden oder nicht senden?
Vor den Olympischen Spielen stehen die Journalisten vor der Frage, ob sie bei einem Sportereignis die politischen Umstände ignorieren dürfen oder nicht.
Fest steht: Es wird gesendet. "Wenn die Olypischen Spiele stattfinden, müssen wir darüber berichten", sagt ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender. Zusammen mit der ARD muss sich der Sender allerdings Gedanken machen, wie man die schwierige politische Situation in China in die Olympia-Berichterstattung integriert. Und mit der Frage beschäftigen, ob man Sport einfach Sport sein lassen, die politische Lage in der Sportberichterstattung also ausklammern darf.
Der Umgang der Regierung in Peking mit dem Thema Menschenrechte sei nicht erst seit den jüngsten Unruhen in Tibet Thema in der ARD, heißt es beim NDR, der federführenden Sendeanstalt für das Olympia-Programm. Bereits im Vorfeld habe man sich dem Thema in einem Dokumentationsschwerpunkt gewidmet, und auch während der Spiele werde man "kritisch hinschauen", sagt NDR-Sprecher Ralf Pleßmann.
Auch das ZDF betont, dass neben der Übertragung der Sportveranstaltungen die Hintergrundberichterstattung eine große Rolle spielen wird. Wie stark die Vernetzung zwischen sportlicher und nachrichtlicher Berichterstattung ausfallen wird, dazu wollte sich Chefredakteur Brender nicht konkret äußern. Er sagte nur: "Ein 100-Meter-Lauf ist ein 100-Meter-Lauf, und den werden wir übertragen." Aber die Großveranstaltungen, stellte er klar, könnten nicht komplett unangetastet bleiben von politischen Entwicklungen. "Die Olympischen Spiele sind ein Ausdruck der Freiheit, und wenn die bedroht ist, dann muss auch über bedrohte Freiheit berichtet werden."
Keine rigide Trennlinie
Auch wenn sich die öffentlich-rechtlichen Sender verständlicherweise bedeckt halten, deutet das, was zu erfahren ist, nicht auf eine rigide Trennlinie zwischen Sport und Politik hin. Man ist sich allerdings bewusst, dass die Übertragung der Spiele eine Gratwanderung wird, für die Korrespondenten wie für die Sportjournalisten.
"Ich maße mir nicht an, nach Peking zu fahren und dort die politische Situation zu ändern", sagt etwa Jens Weinreich. Der Journalist ist Initiator der Initiative Sportnetzwerk und bekannt für seine kritische Sportberichterstattung. Weinreich, der auch in China dabei sein wird, bezeichnet sich als politisch, sagt aber auch: "Es ist doch absurd, bei einem 100-Meter-Lauf über Menschenrechte reden zu wollen." Viel wichtiger sei es, dass Sportjournalisten und Korrespondenten einander ergänzen.
Boykott unwahrscheinlich
Ein Verzicht auf die Übertragung der Spiele steht also derzeit offiziell nicht zur Debatte. Das war nicht immer so in der Geschichte der Olympia-Berichterstattung: Einen Sendeboykott der öffentlich-rechtlichen Sender hatte es zuletzt 1980 in Moskau gegeben, als die Bundesregierung sich den USA und vielen weiteren Staaten anschloss und aus Protest gegen den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan keine bundesdeutschen Sportler nach Moskau schickte. Die ARD reagierte damals, indem man die Berichterstattung auf eine Viertelstunde täglich zurückfuhr.
Aber auch 2008 ist ein Sendeboykott als Protestmöglichkeit nicht gänzlich vom Tisch: Erst kürzlich drohte das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Frankreich offen mit einem Boykott der Berichterstattung aus Peking, sollte die chinesische Regierung Berichte über Demonstrationen während der Spiele verändern oder zensieren.
Falls es übrigens doch unerwartet auch in Deutschland wieder so weit kommen sollte, dass ARD und ZDF nicht aus Peking senden, kann man den Fernseher wohl wirklich auslassen. Denn nicht einmal auf den Sender, der so beherzt einsprang, als die ARD die Übertragungsrechte an der Tour de France wegen des Dopingskandals abtrat, ist noch Verlass. "Na, Olympia ist ja nun doch was anderes", hieß es auf Anfrage bei Sat.1.
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