Kommentar Obamas Grundsatzrede: Starker Auftritt, riskante Strategie
Der US-Präsident hat deutlich gemacht, dass er sich nicht von den Republikanern wird aufhalten lassen. Er hat es geschafft, der Opposition das Image des Bremsers zuzuweisen.
U S-Präsident Barack Obama spielt voll auf Risiko. Seine Grundsatzrede in der Nacht zum Mittwoch war nur in einer Hinsicht ausbalanciert: Hoffnung und Zuversicht zu erwecken einerseits, realistisch zu beschreiben andererseits, wie die Lage sich zunächst weiter verschlechtern wird. Im Übrigen aber hat Obama deutlich gemacht, dass er sich trotz aller Bemühungen um parteiübergreifendes Handeln nicht von der republikanischen Opposition wird aufhalten lassen. Es ist bewundernswert, wie es Obama geschafft hat, der Opposition - zu Recht! - das Image des ewiggestrigen Bremsers zuzuweisen: einer Opposition immerhin, deren ideologisches Denkgebäude fast ein Jahrzehnt lang den öffentlichen Diskurs der USA beherrscht hat.
Bernd Pickert ist Auslandsredakteur der taz.
Nie wieder freilich wird der Handlungsspielraum des Präsidenten so groß sein wie heute. Will er die neben der Wirtschafts- und Finanzkrise wichtigsten Themenbereiche Energie, Bildung und Gesundheit tatsächlich angehen, dann muss er es jetzt tun, da er über ein riesiges Kapital an öffentlicher Zustimmung und Optimismus verfügt.
Die Fallhöhe ist enorm, und ein Netz ist nicht gespannt. Versuchten andere Präsidenten, mögliche Gefahren und Widrigkeiten taktisch auf die erste und eine mögliche zweite Amtszeit zu verteilen, um die Akkumulation von Problemen zu vermeiden und ihre Wiederwahl nicht zu gefährden, setzt Obama alles auf eine Karte. Hat er Erfolg, kann er 2012 ein traumhaftes Wahlergebnis einfahren. Scheitert er, wird er aufs Wütendste abgestraft werden.
Obamas Auftritt vor dem Kongress und der Nation erinnert aber auch daran, dass Politiker nicht unbedingt von Sachzwängen und Demoskopie getrieben herumwursteln müssen, sondern tatsächlich führen können - wenn sie es denn können. Nach Jahren der Zurückdrängung der Politik durch die Ökonomie bietet die Krise die Chance zur Umkehr, zur Rückgewinnung des Primats der Politik und damit auch zu einer Redemokratisierung der Gesellschaft.
Erstaunlicherweise ist Obama der einzige westliche Politiker, der diese Chance mit Verve zu ergreifen gewillt scheint. Einen guten Monat ist er jetzt im Amt - die Achtung steigt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Neue israelische Angriffe auf Damaskus