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Kommentar Niederlande-DeutschlandAus, aus, aus, der Krieg ist aus!

Kommentar von Tobias Müller

Auf einmal spielt „de mannschaft“ schön. Und die klassische deutsch-holländische Fußballfeindschaft ist vorbei. Hat Mesut Özil nun den Weltkrieg beendet?

E s war ein seltsames Geständnis: Hans van Breukelen, legendärer Keeper der niederländischen Europameister von 1988, bekannte unlängst, dass er verliebt sei – und zwar in die deutsche Fußball-Nationalmannschaft: „Weil sie mittlerweile so aufregend und schön spielt, unsere Elftal aber überhaupt nicht. Mit anderen Worten: Ihr spielt holländisch und wir deutsch.“

Ausgerechnet van Breukelen, als Deutschenhasser verschrien, seit er damals im Hamburger Halbfinale Lothar Matthäus zuraunte: „Ich hoffe, dass du fucking stirbst!“

Die deutsch-niederländische Fußballfeindschaft ist einfach nicht mehr, was sie mal war. Auf niederländischer Seite ging es dabei immer auch um die traumatischen Erfahrungen aus der Zeit der deutschen Besatzung – und ihre Bewältigung. Genau diese Funktion nämlich erfüllte ein Sieg gegen Deutschland, zumal in der heißen Phase zwischen 1974 und den frühen 1990er Jahren. Jules Deelder, der Rotterdamer Jazzpoet, schrieb 1988 nach dem Triumph über den verhassten Nachbarn: „Sie, die fielen, erhoben sich jauchzend aus ihren Gräbern.“

Tobias Müller

ist Autor der taz und berichtet regelmäßig aus den Niederlanden.

Beinahe vergessen sind diese Töne, wenn sich beide Länder am Mittwoch zum Gruppenspiel in Charkow treffen. Natürlich hat es das Verhältnis entlastet, dass inzwischen eine Fan-Generation aufgewachsen ist, die an die legendären Duelle ebenso wenig eine Erinnerung hat wie an die notorischen Kampfmaschinen in Schwarz-Weiß.

Überhaupt, de mannschaft, wie die Niederländer sagen, hat ihr Gesicht verändert. Migrantenkids statt blonde Kraftpanzer: dieser Wandel wird zwischen Groningen und Maastricht positiv zur Kenntnis genommen – fast ein bisschen wie die Schwärmerei alternativer Fans in Deutschland für die multikulturelle Elftal der 1990er.

Hat Mesut Özil nun den Weltkrieg beendet? Nicht ganz. Die Begeisterung für den früheren Feind im neuen Gewand ist auch ein Ausdruck dessen, dass beide Länder sich immer mehr annähern. Wer mit Niederländern über das Nachbarverhältnis redet, hört öfter, dass man sich eigentlich sehr ähnlich sei.

Auch als Urlaubsziel steht Deutschland an erster Stelle, und dem strengen Sparkurs aus Berlin steht mit Den Haag ein treuer Adjutant zur Seite. Der Spitzname „Spread Boys“, den die deutsche Mannschaft in Anspielung an die deutsche Richtlinie beim Anleihenzins in Südeuropa genießt, hat sich in den Niederlanden jedenfalls noch nicht herumgesprochen.

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12 Kommentare

 / 
  • UM
    Ulli Müller

    denke auch,

    dass gerade bei den Fans aus der BRD eine Art von Fremdschämen vorhanden war.

    Den schönen Fußball spielten über Jahrzehnte die Niederländer (Orange), gewonnen haben oft die Schwarz/weißen.

    Seit Jahren stagniert der Fußball im Nachbarland.

    Aber auch bei uns,

    bedenkt man, dass der DFB der größte Verband ist, das meiste Geld ausgibt, wenn man berücksichtigt, dass die drei anderen Gruppenteilnehmer zusammen nicht mal halb soviel Einwohner haben als die BRD, dann ist der Outputt des DFB doch auch geschmeiduíg gesehen, beschämend!

  • K
    Kifferbraut

    Ich bin irrational für die Oranje!

  • O
    oranier

    Wieso sollte man sich darüber empören oder auch nur wundern, dass sich im Umfeld von Fußball, wie jüngst in Polen, regelmäßig Horden von Gewalttätigen regelrechte Schlachten liefern, wenn sogar in der scheinbar seriösen Presse umstandslos Fußball mit Krieg assoziiert wird?

     

    Fußball ist Fußball, ein bloßes Spiel, und der Ball ist rund, klar, Herr Tobias Müller?

     

    Schon die Behauptung "Auf niederländischer Seite ging es dabei immer auch um die traumatischen Erfahrungen aus der Zeit der deutschen Besatzung – und ihre Bewältigung." ist eine Phantasmagorie. Dass ein Sieg im Fußball eine militärische Niederlage kompensieren könne und sollte, diesen Eindruck konnte man 1954 in Bern gewinnen. Aber bitteschön, da war der Weltkrieg gerade mal neun (!) Jahre vorbei, und das Publikum bestand zu einem nicht unwesentlichen Teil aus ehemaligen Frontsoldaten. Aus unverbesserlichen, wie man spätestens von Richard Weizsäcker lernen konnte, der den 8. Mai 1945 als Befreiung, auch für "Deutschland" deklarierte. Und für Holland war das das Ende der Besatzung und eben ein Sieg der antinazistischen Allianz, nicht zuletzt des Widerstands, und damals, nirgends sonst, wurde den Gefallenen Kriegsopfern der Wehrmacht Genugtuung geleistet. Die unsägliche Überschrift ist ein Zitat aus 1954, damals hieß es aber unverkennbar: Das Spiel (!) ist aus, nicht, der Krieg ist aus.

     

    Wer dennoch 1988 (!), mehr als eine Generation später, solche hymnischen Sätze kreiert, wie "„Sie, die fielen, erhoben sich jauchzend aus ihren Gräbern." unterscheidet sich in seiner nationalistischen Rache- statt Friedensperspektive in nichts von den Rechten auf der anderen Seite der Grenze, und, traurig genug, von Journalisten, die Fußballspiele für kriegstreiberischen Dreck instrumentalisieren.

     

    Der unverhohlene, wenn auch in der umgekehrten Wertung scheinbar geläuterte Rassismus: "[schwarzhaarige und braunäugige] Migrantenkids statt [arische, blauäugige] blonde Kraftpanzer" ist nichts als das, nämlich blanker Rassismus und setzt dem ganzen die Krone auf.

     

    Herr Müller, wenn Sie zum Fußball nichts anderes anzubieten haben als solche Assoziationen und Reminiszenzen, dann schweigen Sie bitte lieber, um des lieben Friedens auf den Fußballplätzen und in den Köpfen der Europäer willen!

  • S
    Seraquael

    Ich denke auch, dass diese Art von ultraernster Rivalität und die Anfeindungen des ausklingenden 20 Jahrhunderts in der heutigen Fangeneration der Geschichte angehören. Trotzdem möchte ich darauf wetten, dass viele wenn nicht alle (deutschen) Sportjournalisten heute abend alle Daumen, Finger und Zehen für die Holländer drücken, weil dies die Möglichkeit für ein erneutes Aufeinandertreffen im Finale offenhalten würde. Denn das entpräche, trotz allem, den feuchten Träumen der versammelten Sportresse Europas.

     

    Gruß Sera

  • F
    Fan

    Ich spinne den Gedanken, des Autors jetzt mal weiter. Eine Fußballrivalität zwischen Deutschland und Holland gibt es, weil die Deutschen im 2. Weltkrieg Holland besetzt hatten.

    So gesehen, müsste es Rivalitäten mit so ziemlich jedem europäischen Land geben - aus historischen Gründen. Außer mit Italien und Spanien vielleicht. Aber hoppla: Fußballfans spüren hier auch eine große Rivalität.

    Jedenfalls eine größere als gegen Polen.

    Ich glaube diese Rivalitäten werden durch Klassiker geboren: Wembleytor, Schumacher/Battiston, 1974 oder auch Völler/Rijkard.

    Und ich glaube, sie sind weit weniger ernst gemeint, als der Autor meint. Und es ist dabei völlig Wurscht wieviel Blonde oder Migranten auf Deutscher Seite mitspielen.

  • CC
    Chris Crabb

    "Migrantenkids statt blonde Kraftpanzer: dieser Wandel wird zwischen Groningen und Maastricht positiv zur Kenntnis genommen"...

     

    Das glaube ich weniger. Ich habe 3 Jahr in NL gelebt und habe erleben dürfen, wie abfällig die Niederländer Ihren Migranten (auch Niederländer aus den Überseegebieten) gegenüber auftreten... de zwarte, de buitenlandser...

     

    Teilw. schlimmer als bei uns.

  • L
    Lexi

    Gott sei Dank, muss man sich diesen Unsinn nicht antun. Fußball ist ganz offensichtlich doch nur etwas für Grenzdebile.

     

    Statt die europäische Integration zu fördern, teilt dieses sinnlos dämliche Gekicke die Welt noch mehr in einzelne Teile und hetzt sie gegeneinander auf. Das ist dermaßen spießig und dermaßen von vorgestern, dass es verboten gehört. Aber die dämlichen Fans (=Abkürzung für Fanatiker) lassen sich halt gerne für rückständige Ideologien Instrumentalisieren. In Europa geht es derzeit schlimmer als 33 zu und alle jubeln. Geht's noch?

  • V
    viccy

    Wer die ethnisch stark durchmischte DFB-Elf noch zwanghaft mit dem Weltkrieg in Verbindung bringen muss, dem kann wohl nur noch schwer geholfen werden.

  • A
    Abnormalo

    Hey Normalo, höchste Anerkenntnis für den kundigen Kommentar! Hissen wir das Fanal gegen ernst-unernste Ambivalenzen und freuen uns über jeden, der Deniz Yücel den Rang abzulaufen vermag. Dann funktioniert das auch mit dem Publikumsgekicher.

  • L
    Loddar

    "Ausgerechnet van Breukelen, als Deutschenhasser verschrien, seit er damals im Hamburger Halbfinale Lothar Matthäus zuraunte: „Ich hoffe, dass du fucking stirbst!“ - Ist das nun Deutschenhass oder das, was sich Womanizer Matthäus selbst wünscht?

  • W
    Walter

    Tut mir leid, aber Deutschland - Holland ist kein Klassiker, da schägt auch nichts schneller. Das Spiel ist eher lästig, wie Spiele gegen Österreich.

     

    Deutschland - Italien hat ein ganz anderes Niveau, oder besser gesagt eine höhere Ernsthaftigkeit.

  • N
    Normalo

    Jetzt mal halblang!

     

    Dass die Niederländer nicht mehr mit Verachtung auf die Spielweise der deutschen Mannschaft schauen, heißt noch lange nicht, dass das Nachbarschaftsduell entschärft wäre. Es ist lediglich ein verbaler Angriffspunkt EINER der beiden Seiten verschwunden. Das deutsche Fanherz schlägt ja genauso schneller, wenn es gegen die Niederlande geht, auch wenn hierzulande die Anerkenntnis der hohen holländischen Spielkultur seit Jahrzehnten ungebrochen ist (wir weisen lieber auf das Fanal natürlicher holländischer Haarpflegemittel in der sorgsam zerfledderten Mähne unserer Tante Käthe hin oder lästern über die Spiel- und Spielerzerstörer in der Defensive der Elftal).

     

    Rivalität lässt sich nicht in Sachargumenten auflösen. Es ist auch gar nicht so schlimm, solche Rivalitäten aufrecht zu erhalten. Sie beleben sportlich das Geschäft und sind toll für die Stimmung - zumindest beim jeweiligen Sieger. Lauwarmes Wir-haben-uns-alle-lieb-Rasenpingpong hingegen wären zwar egalitärer, aber auch ungleich technokratischer und langweiliger. Der alte Spruch "Fußball ist keine Sache von Leben und Tod. Es ist viel, viel wichtiger." will - in seiner ganzen ernst-unernsten Ambivalenz - mit Leben gefüllt sein. Dann funktioniert Fußball als Publikumssport.