Kommentar Nato und Libyen: Folterer und Befreier
Die Kumpanei der Natostaaten ging soweit, dass den Gaddafi-Handlangern sogar Oppositionelle frei Haus geliefert wurden, damit sie dort unter Folter verhört werden.
D ie Beteiligung der Nato am Krieg in Libyen ist von vielen Kritikern des Militärbündnisses als ein Schritt interpretiert worden, der vor allem der Wahrung eigener Interessen an der Ölversorgung dient. Der Krieg helfe zudem bei der regionalen Machtsicherung und habe weiterhin den Zweck, eine unliebsame Regierung zu stürzen und diese durch ein angepasstes Regime zu ersetzen.
Die Logik dieser Argumentation besticht vor allem durch ihre Einfachheit. Die Hilfe für die von einem Massaker bedrohte Zivilbevölkerung in Bengasi zu Beginn des Konflikts wird umstandslos als Nato-Propaganda abgebucht.
Nun sind Papiere aufgetaucht, die diese Weltsicht erschüttern mögen. Denn danach hat der Westen, haben insbesondere die USA und Großbritannien, mit ihrem angeblichen Feind Gaddafi gemeinsame Sache gemacht.
Nicht nur schlossen sie Verträge über Öllieferungen und die Rückkehr von Flüchtlingen. Nein, sie paktierten auch in anderer Angelegenheit mit dem Diktator: bei der Folter.
ist Chef vom Dienst der taz.
Unter George W. Bush verschickten die USA Terrorverdächtige nach Tripolis. Sie ließen dort nicht nur Misshandlungen zu, sondern versorgten die Schergen des Regimes auch mit den passenden Fragen an die Delinquenten.
Die Hilfe für Gaddafi ging so weit, dass die Amerikaner einen Redetext für Gaddafi formulierten und einen seiner Kritiker in Bangkok überwältigten und nach Libyen verschleppten. Pech für die USA, dass der Mann heute zu den Siegern zählt.
Die Kumpanei des Westens mit Gaddafi zeigt zweierlei: erstens, wie freundlich die Beziehungen zwischen Nato-Staaten und Gaddafi in den letzten Jahren seiner Herrschaft waren. Ein viel größerer Vertrauensbeweis als das Outsourcen von Verhören an ein fremdes Land ist kaum noch denkbar.
Zweitens aber beweist die Affäre, wie wenig ein schematisches Freund-Feind-Denken für eine kühle Analyse von Außenpolitik taugt. Die Nato-Staaten, so viel steht fest, paktierten jahrelang mit dem Diktator, den sie nun stürzen halfen.
Sie kamen einer bedrohten Bevölkerung zu Hilfe, obwohl sie die Opposition zuvor unter den Generalverdacht des Islamismus gestellt hatten. Sie ließen Gaddafi fallen, obwohl er zuvor großzügig mit Waffen ausgestattet worden war.
Hat die Nato durch den Sturz Gaddafis also gewonnen oder verloren? Nur simpel gestrickte Geister mögen sich an solchen Fragen abarbeiten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin