Kommentar Muslimin im Wulff-Kabinett: Symbolpolitik mit Folgen
Özkan hat mit ihren beiläufigen Bemerkungen eine überfällige Debatte über die staatliche Neutralität gegenüber Religionen angestoßen - und Mut zur unpopulären Meinung bewiesen.
Als "reine Symbolpolitik" hatte Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) die Berufung von Aygül Özkan zur niedersächsischen Sozialministerin noch vor ein paar Tagen hämisch abgetan. Doch nach den ersten Äußerungen der Frau, die heute in Hannover als erste türkischstämmige Ministerin der Republik vereidigt wird, kann davon keine Rede mehr sein. Denn mit ihren forschen Statements zu Kopftüchern, Kruzifixen und Integration hat die Senkrechtstarterin klargemacht, für welche Inhalte sie steht. Die 38-Jährige ist damit mehr als nur ein neues Gesicht für eine CDU, die sich modernisiert. Sie selbst steht für diese Modernisierung der Union ein.
Klar liegt Aygül Özkan mit ihrer Überzeugung, Kruzifixe und Kopftücher gehörten nicht in staatliche Klassenzimmer, quer zur Mehrheit in ihrer Partei. Kein Wunder, dass sie dafür harsche Kritik von CSU und christlich-konservativen Kreisen erntet - manche fordern gar, sie solle ihr Amt gar nicht erst antreten. Es ist auch nicht schön anzusehen, wie sich von Christian Wulff bis Angela Merkel die Spitzen ihrer Partei in dieser Frage von der Newcomerin distanzieren. Denn Aygül Özkan hat mit ihren eher beiläufigen Bemerkungen eine überfällige Debatte über die staatliche Neutralität gegenüber Religionen angestoßen - und Mut zur unpopulären Meinung bewiesen.
Daniel Bax ist Redakteur im taz-Meinungsressort.
Damit erweist sich jetzt, wie mutig es von Christian Wulff war, die Muslimin in sein Kabinett zu berufen. Dass ein solcher Schritt noch lange nicht selbstverständlich ist, zeigten schon die ersten Reaktionen mancher Konservativer, die von offenem Missmut über den vermeintlich reinen Marketing-Coup bis zur Unterstellung reichten, der Juristin fehle die Qualifikation für ihr Amt. Nach ihren offenherzigen Worten zum Kruzifix schlagen manche Vorbehalte gegen Özkan nun in offene Anfeindungen um, von Rechtsextremen hat sie gar Morddrohungen erhalten.
Symbolpolitik ist eben auch Politik. Und aus Wowereits Häme spricht nur der Neid darüber, dass seine Partei auf dem Terrain der Integration so alt aussieht. Die Grünen haben einen Parteivorsitzenden mit Migrationshintergrund, die CDU nun die erste muslimische Ministerin. Und was hat die SPD? Einen Sarrazin, der gegen Migranten aus der Unterschicht pöbelt - und dessen schlichte Thesen die Tochter eines Änderungsschneiders aus Hamburg-Altona allein schon mit ihrer Aufstiegsgeschichte Lügen straft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Mögliches Ende des Ukrainekriegs
Frieden könnte machbar sein
Musks AfD-Wahlempfehlung in der „Welt“
Rocky Horror Springer Show
Windräder auf Hochtouren
Neujahr war zu 125 Prozent erneuerbar
Kleinparteien vor der Bundestagswahl
Volt setzt auf die U30
Syrische Regierung und die Frauen
Sie sind zu Recht beunruhigt
Todesgefahr durch „Kugelbomben“
Bombenstimmung nach Silvester